Tour de France 2011: Blog

Mit was für einem Fahrrad fährt denn eigentlich der Vöckler. :astonished: Der war doch sonst immer am 2. Berg bereits abgehängt und durfte im Ziel die Goldene Ananas übernehmen. Sind jetzt etwa inzwischen etwa E-Räder zugelassen :open_mouth:

Diese Diskussion hatten wir schonmal letztes Jahr. :mrgreen:
Und zur Erinnerung an 2010: Voeckler gewann die Bergetappe Pamiers - Bagnères-de-Luchon und war Vierter nach Station des Rousses. Sooo schlecht war er vorher nicht.

Sonntag, 17.Juli. 15. Etappe: Limoux - Montpellier, 192,5km

Wir geben uns die Kante

„Département Héro, das ist das Richtige für mich. Ich will die Etappe gewinnen!“, verkündete mein einziger noch verbliebener Teamkollege heute morgen. Aber noch bevor er den Satz beenden konnte, hatte ich schon eingegriffen. Kommt nicht in Frage. Nach dem Ruhetag geht es in die Alpen, da kann ich einen Alleingang nicht gebrauchen. Vorsichtshalber verlegte ich eine Kette von meinem zu seinem Rad.

Endlich im Süden! Das verspricht Sonne, Hitze, ausgedünstete Oleander-Aromen und eine klebrige Straße. Aber wir schreiben das Jahr 2011. Bisher hatten wir an drei von vier Tagen Regen, was den Amerikaner Christian Vande Velde (Garmin-Cervélo) - ganz Geschäftsmann - bewogen hat, Regenwolken exportieren zu wollen: „Is your town is in a drought? Call the TDF hotline. TDF-598-2300. We will make it rain in your town. Not a miracle, 82% fact thus far.“ Am Start in Limoux hatten wir 20°C und Sonne, als uns schon Bilder aus Montpellier erreichten. 26°C, tiefschwarze Wolken. Wollten wir da wirklich hinfahren? Meine alte Heimat. Die Stadt der glücklichsten Wochen meiner Kindheit.
„Wie heißt die Region hier nochmal?“, fragte Simón, als ich ihm die Schwänke aus meiner Jungend erzählte.
„Languedoc.“
„Long Dog?“
„Ja.“

Nach zwei Wochen Strapazen wird man extrem dünnhäutig. Jede Fliege, die sich ins Gesicht verirrt, reizt einen bis aufs Blut, jeder Fahrer, der sich wieder einmal in eine Lücke vor einen quetscht ist ein Feind. Und dann gibt es da noch Simón. Er hat vor kurzem die Tour abonniert, ein Rennradmagazin, und bekam als Extra ein Mini-Reperaturset dazu. Sieht aus wie ein Schweizer Taschenmesser, mit allen Schikanen. Schlüssel, Schraubenzieher, Zahnstocher. Unser kleiner Bastler hat dann noch einen Korkenzieher, einen Kuli und eine Taschenlampe eingebaut. Telefonieren kann man damit auch. „Falls ich in den Alpen in einer Felsspalte lande, kann ich damit Hilfe rufen.“
Seit er dieses Ding hat, haben die anderen Fahrer im Feld keine Ruhe mehr. Als hätte er nichts Besseres zu tun, etwa Rennen zu fahren, kurvt er im Peloton rum und bietet seine „Hilfe“ an. Hebt dann einer die Hand fürs Teamfahrzeug, stürmt er hin und hält ihm sein Basteldings unter die Nase. Ohne Erfolg bisher. Zum Glück, muss man vielleicht sagen. Stattdessen hat er heute bei seinem eigenen Rad zugeschlagen, bevor es übermorgen in die Alpen geht. Er hat Rückspiegel und Hupe angebaut, zur Zeit arbeitet er an einer Trinkwasserleitung direkt zu den Flaschen. Doch damit nicht genug. Als Teamkollegin bin ich erstes Testobjekt. Mindestens einmal täglich taucht er meist rechts an meiner Seite auf und hat selbstgemachte Extras im Gepäck. Heute wollte er eine Mini-Klimaanlage testen und begann sich an meinem Lenker zu schaffen zu machen, während ich nur kurz nach links in die Landschaft geschaut hatte. Und heute hat es mir dann gereicht. „Simón, wenn du das noch einmal machst, dann fürchte ich um meine geistige Gesundheit!“, schrie ich und es war gut, dass ich meine Radbrille aufhatte, so dass niemand sah, dass mir das Blut aus den Augen lief. Hätte ich mehr Radbeherrschung, hätten wir die nächste Prügelei im Feld gehabt. Bleibt nur die Hoffnung, dass das Spielkind in den Alpen nicht mehr die Kraft für Bastelei hat.

Je näher wir Montpellier kamen, desto wolkenreicher wurde es, aber desto vertrauter war mir auch die Landschaft. Ich kenne hier jeden Baum, jeden Strauch, jede Mülltonne persönlich. Das bedeutet Konzentrationsverlust. Gehirnkapazitäten werden von Erinnerungen besetzt, und das gerade dann, wenn man das nicht gebrauchen kann. Dann nämlich, wenn der heute starke, böige Wind von der Seite kommt. Windkante-Gefahr. Eine ßteife Brrrise - und schon war das Loch da, zwischen meinem Team und dem Rest. Unglaublich, wie schnell das geht. Wenn es einmal so weit ist, kann man treten und treten und treten (auch in die Pedale) und kommt trotzdem nicht mehr ran. Es war eine Erlösung, als der Wind drehte und uns endlich nach Montpellier trug.

Ansonsten gibt es heute nichts zu sagen, bei solchen Etappen kann man immer wieder nur sich selbst zitieren hüstel:

Classement de l’étape

  1. CAVENDISH Mark 171 HTC - HIGHROAD 4h 20’ 24"
  2. FARRAR Tyler 54 TEAM GARMIN - CERVELO 4h 20’ 24" + 00’ 00"
  3. PETACCHI Alessandro 169 LAMPRE - ISD 4h 20’ 24" + 00’ 00"
  4. OSS Daniel 95 LIQUIGAS-CANNONDALE 4h 20’ 24" + 00’ 00"
  5. ROJAS Jose Joaquin 88 MOVISTAR TEAM 4h 20’ 24" + 00’ 00"
  6. AVONLEA 231 EQUIPE AVONLEA 4h 24’ 56" + 04’ 32"
  7. SELM Simón 233 EQUIPE AVONLEA 4h 25’ 24" + 05’ 00"

Classement général

  1. VOECKLER Thomas 181 TEAM EUROPCAR 65h 24’ 34"
  2. SCHLECK Frank 18 TEAM LEOPARD-TREK 65h 26’ 23" + 01’ 49"
  3. EVANS Cadel 141 BMC RACING TEAM 65h 26’ 40" + 02’ 06"
  4. SCHLECK Andy 11 TEAM LEOPARD-TREK 65h 26’ 49" + 02’ 15"
  5. BASSO Ivan 91 LIQUIGAS-CANNONDALE 65h 27’ 50" + 03’ 16"
  6. SELM Simón 233 EQUIPE AVONLEA 67h 54’ 55"
  7. AVONLEA 231 EQUIPE AVONLEA 68 h 26’ 28"

Und die Heldin des Blogs war wieder nicht im Bild, entweder weil die Helikopter nicht das Peloton und Gruppeto zeigen durften wegen Naturschutz?! und dafür düstere Strandabschnitte zeigten wo man eher an Bretagne als ans Languedoc denkt. :astonished:

Oder der Kameramann im Heli nicht weit genug aufzoomte um die gänzliche länge der Windkante sehen zu können :confused:

Und das Fernsehen wartet ja auch nie solange bis wirklich alle im Ziel sind.

Darum :merci: für’s anschauliche beschreiben Deines Tages im Sattel.

Die dürfen mich doch nicht zeigen. Ich habe die exklusiven Bildrechte an einen tibetischen Fernsehsender verkauft. Deshalb hat man Markus auch nicht in der Ausreißgruppe neulich gesehen. Sobald wir irgendwo auftauchen werden wir gepixelt, dafür habe ich gesorgt.
Irgendwie müssen wir uns ja die Tour finanzieren.
:wink:

:top: Köstlich die Histoire vom Bastelsimon !

18. Juli, 2. Ruhetag

Am zweiten Ruhetag präsentiere ich die diesjährigen Tour-Blogs, die es neben meinem sonst noch gibt. Je weiter die Twitter-Krake um sich greift, desto weniger werden es. Kaum noch Fahrer oder Begleiter nehmen sich Zeit, ausführlich zu berichten, die Ü30er ausgenommen. Schade. Ein paar lesenswerte habe ich trotzdem gefunden. Wer noch einen guten Fund hat: Immer her damit.

Fahrer-Tagebücher

Jens Voigt (Leopard-Trek) en anglais
Sebastian Lang (Omega Pharma - Lotto) berichtet von seiner letzten Tour
Grischa Niermann (Rabobank)
Marcus Burghardt (BMW)
Cadel Evans (BMC)
Postkarten von André Greipel (Omega Pharma-Lotto)
Niki Terpstra (Quickstep)

Medien
Felix Lowe: Blazing Saddles bei Eursport UK
Der beste Tourblog. Neben meinem natürlich. Blazing Saddles schreibt mit spitzer Feder, englischem Humor und legt sich auchmal in der Realität gerne mit Fahrern an. Sein Lieblingsopfer neben Lance Armstrong und Alberto Contador ist Sprinter Mark Cavendish. Kreativ und polarisierend.
Eurosport-Kommentator Andreas Schulz
Beleuchtet täglich die großen und kleinen Themen des Radsports, gräbt in Erinnerungen und packt sie in schöne und treffende Worte. Hat fast was Literarisches.
France 2: Xavier Richard und Isabelle Trancoen
Video-Blog der ARD-Kommentatoren
Von der französischen Zeitung Le Monde

Sonstige

SRM-Blog: Hersteller von Leistungsmessgeräten veröffentlicht zu den Etappen Berichte und Einschätzungen aus messtechnischer Sicht.
Und SRM bietet noch einen interessanten Service: Stalken Sie Rennfahrer während des Rennens! Live- Bewegungsprofile ausgewählter Fahrer.
Tour de Pez Achtung, bunt! Aber gut.

19.Juli, 16. Etappe: St.Paul-Trois-Châteaux - Gap, 162,5km

Mit neuer Regenbrille!

  1. Juli 2011, St. Paul, morgens kurz vor Neun. Wir sitzen zum Frühstück in der hintersten Ecke unseres Campingplatzrestaurants. Es ist schummriges Licht, draußen haben wir eine Luftfeuchtigkeit von 100%, es monsunt. Willkommen im Süden. Simón schaut sich die Etappenprofile der letzten Etappen an, nimmt dann sein Telefon zur Hand, schaut sich um und wählt anschließend die Nummer von Météo France. „Guten Tag, c’est moi. Ich möchte eine Unwetterwarnung für den 21. und 22. Juli durchgeben. Am Col du Galibier liegt zur Zeit 10cm Neuschnee, man komt kaum durch, für die nächsten Tage erwarte ich mindestens Kniehöhe… Ja, ich habe mir das angeschaut… Nein nein, Sie brauchen nicht hinzufahren… Geht nicht aus den Luftströmungen hervor?.. Parbleu, das muss ein Fehler sein, ich weiß, was ich hier sehe.“ Markus sorgt spontan für Atmo-Geräusche, Simón wischt imaginären Schnee von der Hörmuschel. „Haben Sie gehört? Ich habe es Ihnen gesagt! Es schneit wie aus Eimern und das wird es vor allem am 21. und 22. Juli… Was, da kommt die Tour hierher?.. Nein nein, die können wohl fahren, meines Erachtens. Schneeketten sind aber ratsam und der Wind pfeift ganz schön, Helme mit Ohrklappen müssen es schon sein… Mein Name? Also bitte, aus Datenschutzgründen kann ich Ihnen den nicht sagen… À réentendre… Natürlich, sehr gerne. De rien.“

lockerz.com/s/121132181
ITV4 hat sich eine Dachrinne gebastelt.

Schnee am Galibier, dem Dach der Tour. Diese Meldung verbreitet sich wie EHEC. Schon um 10 Uhr weiß es jede Radiostation und vor allem jeder Rennfahrer. Alle wissen von diesem Schnee. Simón fühlt sich bestätigt: „Habe ich doch gesagt! Schnee am Galibier.“ Das mag jeder gerne glauben, der von 8°C in Gap hört und der die Sintfluten sieht, die draußen auf der Straße stehen. Ich jedoch konnte nur mit den Schultern zucken. Ich habe nichts gegen Schnee in den Bergen. Fahren wir halt nicht um Trikots, sondern um die Gelbe Daunenjacke. Immerhin hat man bei Wintertemperaturen noch Chancen, die ganzen Südländer abzuhängen, die auf der Straße festfrieren, wenn das Quecksilber bei 6°C stehenbleibt. Nur die Harten komm’ in’ Garten! Wenn es wirklich winterlich wird, wird Cadel Evans die Tour gewinnen. Der einzige mit Fässchen um den Hals, ich verweise auf meinen Vergleich letztes Jahr.


Welch eine Verwandlung! Der ewige Hinterradlutscher mit Glasknochen attackiert plötzlich, wird Weltmeister, gewinnt Etappen bei der Tour und zeigt jetzt den Landbriefträgern in der Abfahrt, den Schlecks, wo der Hammer hängt. Die Emanzipation des Cuddles. Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Unsere Zwergstaatenbürger sollten aufpassen.

Die Etappe heute hat gezeigt, dass wir kein Hochgebirge brauchen, um eine spannende Tour zu haben. Gebt den Herren Favoriten einen popligen Col de Manse und wir haben Dramen. Oder macht eine Etappe, die in der Haute Provence permanent bergauf geht, bei der sich 100km lang keine Ausreißergruppe findet und man bei Rückenwind 50km/h in den Asphalt brennt. Sollte es so eine Etappe mal geben, hätte man gute Chancen, die Equipe Avonlea abzuhängen. Immerhin konnte man sich so auf Nebensächlichkeiten konzentrieren. Auf grüne Landschaft, auf das Zählen der Regentropfen und das Bestaunen der Lance-Armstrong-Gedenkwiese.

Mein Highlight heute war ein Paket meiner Mutter, das ich seit Beginn der Tour sehnlichst ertwartet habe. Mir fiel auf, dass sich die Radmode in diesem Jahr sprunghaft geändert hat. Diese Brillen… Puck die Stubenfliege. Um mit der Mode zu gehen bat ich meine Mutter, die seit vierzig Jahren solche Mega-Brillen trägt, mir ein Exemplar zu schicken. Mein Highlight des Tages. Zwickt noch ein bisschen und sitzt auf der Nase schief, keine Ahnung warum. Ich werde mich aber daran gewöhnen. Was tut man nicht alles, um modisch zu sein.

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Dinge, die wir nie von oder über xy hören oder sehen wollten:[/size]
Folge 6: Markus Becker. Gestern beim Frühstück: „Was finden diese Franzosen nur am Baguette? Schmeckt nach Weisbrot und nach zwei Wochen köttelst du wie ein Karnickel.“

Classement de l’étape

  1. HUSHOVD Thor 51 TEAM GARMIN - CERVELO 3h 31’ 38"
  2. HAGEN Edvald Boasson 114 SKY PROCYCLING 3h 31’ 38" + 00’ 00"
  3. HESJEDAL Ryder 55 TEAM GARMIN - CERVELO 3h 31’ 40" + 00’ 02"
  4. MARTIN Tony 175 HTC - HIGHROAD 3h 32’ 16" + 00’ 38"
  5. IGNATYEV Mikhail 195 KATUSHA TEAM 3h 32’ 30" + 00’ 52"
  6. AVONLEA 231 EQUIPE AVONLEA 3h 47’ 29" + 15’ 51"
  7. SELM Simón 233 EQUIPE AVONLEA 3h 47’ 29" + 15’ 51"

Markus will noch etwas beitragen. Das ist aber selten. Also, bitte, ich räume das Feld:

Cool die Fahrradbrille :groove: Ich werde morgen gleich danach Ausschau halten :smiley:

Heute musste ich kurz mal in den Flieger um meine Bachelor-Arbeit bei meinem C&P-Ghostwriter abzuholen. Unterdessen hat Simón mein Rad mit durchs Rennen geschleift. Danke, Mann. Du bist ein echter amigo. Morgen fahre ich wieder selbst.

Das hab ich mir gedacht, dass du gerade dann dein Rad durchs Peloton schieben lässt und eine Diplomarbeit schreibst, wenn ich nach deiner Brille ausschau halte :smiling_imp:

Norwegen gewinnt wieder eine Etappe: Norwegen dominiert die TDF; :open_mouth: die Kraft der Wikinger ist schier unerschöpflich. Sofern sie nicht schon Amerika entdeckt haben, so entdecken sie jetzt die Kussmünder der französischen Bissou-Schönheiten am Etappenziel. Weiter so… Frankreich würde sich sicherlich fragen wie das möglich ist, wenn nicht ein Franzose immer noch im gelben Trikot durchs Peloton schleicht, iwo das Gelbe zelebriert.

Noch harren die Favoriten dem großen Show down. Vielleich kann ja Voeckler der lachende 5. oder 6. sein. Aber ich würd nicht zuviel drauf geben…

21. Juli, 18.Etappe: Pinerolo - Galibier, 200,5km

« Ein Bayer auf Rügen ». Nur umgekehrt. Und nicht Bayern und nicht Rügener

Ich traue mich fast nicht, es zu sagen. Mittlerweile hat die Sache aber ein bisschen Distanz und ich tröste mich damit, dass der Grund für mein Nicht-Wissen mein Flachtirolertum ist. Bis vor kurzem, vor etwa neun Jahren, dachte ich, dass man Bergstraßen mitten über den Berg baut. Nicht in Schlangenlinien an den Berg ran, sondern mitten rüber. Also so wie in der Tour immer die Etappenprofile aussehen. Wäre doch auch nur logisch gewesen; warum sollte man einen Umweg machen? Mittlerweile weiß ich das natürlich besser. Auf so einer Straße müsste man an seinem Auto Eispickel und Seile anbauen um hochzukommen. Warum ich das jetzt erzähle? Weil ich mich in meiner kindlichen Vorstellung bestätigt fühlte, als ich heute den Col d’Agnel erklomm. Diese Straße hätte man wirklich ruhig mittenrüber bauen können, das hätte keinen Unterschied mehr gemacht. Fünfzig Kilometer bergauf und immer steiler. Das war eine Tour. Wirklich eine Tortour. Und dann fährt am Galibier nicht mal der Autobus pünktlich: An die 90 Fahrer hors délais, 35min 40sec Rückstand auf die Milchschnitte. Hat L’Equipe heute morgen noch gespottet und eine Karikatur gebracht mit dem Spruch: "100 Jahre Galibier. Fränk: 'Als Hommage attackieren auf den letzten 100 Metern. Andy: ‹ Langsam, langsam. › "
Das haben sie jetzt davon, die Journalisten. Alle dachten, alle Favoriten vor allem, dass eine Attacke 60km vor dem Ziel nicht funktionieren würde, und haben Andy Schleck ziehen lassen. Auch ich, obwohl ich eigentlich vorhatte, meinen Gesamtrückstand von geschätzt viereinhalb Stunden (Markus! Rechne mal schneller das Klassement aus.) zu verkürzen. Ging nicht. Nichts ging. Da war das gesamte Fahrerfeld schon fast eine Stunde langsamer als der errechnete schnellste Schnitt und geholfen hat es trotzdem nicht. Kein Wunder bei Rampen mit 20,8% Steigung. Für mich ja gut, das kann ich. Aber Spaß ist was anderes und langsam bin ich trotzdem. Gut, dass Markus nicht mehr dabei ist, auf so einer Piste wäre er zum lebenden Geschoss und zur Gefahr aller nachfahrenen Radler geworden. Man hat das Gefühl, hintenüberzukippen. Und überhaupt die ganze Zeit ging es bergauf, überall außer auf der Abfahrt, und es wurde immer steiler. Erst fühlt sich die Steigung nicht an wie eine, das fühlt sich an, als wären die Reifen platt oder als ob die Bremsen festklemmen. Und dann die eisigen Temperaturen. Da kann sich keiner freuen. Außer einer.

Simón hat sich eine Motorrad-Lenkerheizung eingebaut. Der war auch noch bei 6°C oben am Agnel gut aufgelegt. Einem selber hängt die Zunge - festgefroren oder nicht, man ist sich nicht mehr so sicher da oben - auf dem Lenker und der quatscht einen immer noch voll. Und er wollte sich für die Abfahrt auf gar keinen Fall einen Figaro unters Trikot schieben gegen die Kälte, seit er weiß, dass das das Sarkozy-Blatt ist wie die Bild in Deutschland die Merkel-Zeitung. Wie kann man nur so wählerisch sein? Ich hatte heute ein Autogrammbuch. Hat gewärmt wie eine Heizung. Nur die Reaktion des Zuschauers, als ich danach griff, hat mich etwas stutzig gemacht.

Und immer wieder waren es die sensationellen Zuschauer, die einen mental angeschoben haben. Ein ernormer und mysteriöser Effekt. « Einige Millionen Jahre Evolution haben nicht zu Gehirnen geführt, die sich selbst begreifen. » (Krabbé: Das Rennen. S.41.) Ganz Norwegen zum Beispiel ist zur Zeit in Frankreich, pünktlich zur Vague Norvégienne. Die Vague Belge bezeichnete vor einiger Zeit eine Phase erhöhter UFO-Sichtungsrate in Belgien. Und jetzt sind zwei Radsport-Aliens auf dem Weg um Frankreich zu erobern. Einen feindlichen Eindruck machen sie aber nicht. Zwei Norweger und zusammen gewinnen sie vier Etappen. 50% davon auch noch von einem, der mit zweitem Namen « boisson » heißt. Was ist das für eine Tour?


Zuschauer und ich am Galibier. Der Typ in Papierklamotten kann nur ein Bürokrat sein.

Abfahrten sind nichts für mich. Abfahrten sind nichts für mich. Abfahrten sind nichts für mich. Das kann ich nur immer wiederholen. « Kann ich verstehen. Bei deinem poids de plume fliegst du schon zu Fuß aus der Kurve », merkt Markus an. Ich fühlte mich absolut bestätigt. Mich erstaunt wirklich, wie diese Typen, deren Gewichtsschwerpunkt offenbar unter dem Asphalt liegt, sich so ohne Angst in die Tiefe stürzen können. Vielleicht liegt es daran, dass ich in Physik leider elendig schlecht war und deshalb soviel Respekt vor physikalischen Institutionen wie der Zentripetalkraft habe?

Noch nie habe ich mich so wie heute über einen verspäteten Bus gefreut. Als Masse hat man eine ungeheure Macht. Wir hätten auch zwei Stunden langsamer fahren können und man hätte niemanden aus dem Rennen genommen. Ab heute wird alles gut. Morgen nur noch drei Knubbel in der Landschaft und dann bin ich durch mit der Bergtour. Pour toujours.

Classement de l’étape

  1. SCHLECK Andy 11 TEAM LEOPARD-TREK 6h 07’ 56"
  2. SCHLECK Frank 18 TEAM LEOPARD-TREK 6h 10’ 03" + 02’ 07"
  3. EVANS Cadel 141 BMC RACING TEAM 6h 10’ 11" + 02’ 15"
  4. BASSO Ivan 91 LIQUIGAS-CANNONDALE 6h 10’ 14" + 02’ 18"
  5. VOECKLER Thomas 181 TEAM EUROPCAR 6h 10’ 17" + 02’ 21"
  6. SELM Simón 233 EQUIPE AVONLEA 6h 43’ 36" + 35’ 40"
  7. AVONLEA EQUIPE AVONLEA 231 6h 43’ 36" + 35’ 40"

Classement général

  1. VOECKLER Thomas 181 TEAM EUROPCAR 79h 34’ 06"
  2. SCHLECK Andy 11 TEAM LEOPARD-TREK 79h 34’ 21" + 00’ 15"
  3. SCHLECK Frank 18 TEAM LEOPARD-TREK 79h 35’ 14" + 01’ 08"
  4. EVANS Cadel 141 BMC RACING TEAM 79h 35’ 18" + 01’ 12"
  5. CUNEGO Damiano 161 LAMPRE - ISD 79h 37’ 52" + 03’ 46"

Denke die Siege der Norweger liegen an der guten vorbereitung in den heimatlichen Fjorden, da geht’s ja auch Rampenähnlich rauf und auch runter oder rumms :laughing:

Aber ist sicherlich merkwürdig steil gen Himmel zu steigen ohne in einem Flugzeug zu sitzen :open_mouth:

22. Juli, 19. Etappe: Modane - Alpe d’Huez, 109,5km

Lager(feuer)koller

Und rauf die Murmelbahn names Alpe d’Huez. Meine Murmelbahn war der Stolz meiner Kindheit. So ein Holzregal mit allerhand Tunneln. Auf die Idee, die Murmeln nach dem Runterrollen wieder zurück hochzuschieben und durch die Tunnel und um die Ecken zu friemeln, bin ich aber nie gekommen. Die Planer der Tour aber scheinbar schon und deshalb fahren wir seit fast 60 Jahren nach Alpe d’Huez. Das ist die Geschichte des Ausrufs „Die haben doch einen an der Marmel!“
Und rum um die Kurve und noch ein bisschen langsamer und nocheinmal anschieben, liebe Holländer in Kurve 7.

Absolut deprimierend sind diese Ultras, die mit einer Chipstüte in der Hand neben einem herlaufen, einen mühelos überholen und auch noch die Kraft finden, etwas in usenre Ohren zu brüllen, während wir beinahe auf der Stelle stehen. Ich habe immer gewusst, dass das Rad eigentlich ein Hindernis der Fortbewegung ist. Aber was ist toll daran, uns eine Flasche Selter in den Nacken zu kippen oder uns mit Flaggen um die Nase zu wedeln? Und die Krönung von allem: Was ist toll daran, dem Feld seinen nackten Hintern zu zeigen? Zitat Jens Voigt: „Während einer Tour-Etappe sehe ich am Tag 50 bis 60 Männerhintern.“ Sie kommen damit nicht ins Fernsehen! Und keiner von denen denkt daran, dass im Feld eine Dame fährt, die das nicht sehen will.

Alpe d’Huez. Man muss sich zwingen, in Kilometern zu denken und nicht in Kehren. Es sind nur 13 Kilometer, aber 21 Schleifen und man sieht sie die ganze Zeit über sich. Die nächste Kurve ist nie weit. Von einer Straßenseite zur anderen, immer hin und her. Die Steigung verringern. Als mein Teamwagen nicht in Reichweite kam, sprang zum Glück der nette FDJ-Wagen ein, als ich dem Hungerast nahe war:

Schon wieder aus dem Zeitlimit gefallen, das große Peloton. Wieder 80 Fahrer. Sprinter Gerald Ciolek (Quickstep) brach im Ziel in Tränen aus, als der davon hörte. Die Nerven liegen blank. Klar denken kann nach drei Wochen Frankreichurlaub keiner mehr: Wer hat ein Interesse daran, ganze 84 Fahrer am Sonntag in Paris zu sehen? Also alles halb so wild.

109,5 km. Eine Mini-Etappe, die aber spannender nicht hätte sein können. Albuterol Clendador attackierte am ersten Berg, alle Favoriten setzten nach. Und dabei verlor auch Voeckler nach zehn Tagen sein Gelbes. Cadel Evans hatte erst Pech, das sich vielleicht morgen als Glück heraustellen könnte: Ein Defekt riss ihn aus der Ausreißergruppe schon zu Beginn heraus, so dass er sich eine Flucht ersparen konnte, die nach der langen Abfahrt vom Galibier beendet war. Auf dem Weg nach Alpe d’Huez attackierte der Neu-Vegetarier aus Spanien (Markus: „Kalbsfleisch auf die Doping-Liste!“) erneut und konnte sich einen Vorsprung von maximal einer Minute herausfahren. Danach packte Voeckler-Teamkollege Pierre Rolland den Hammer raus und stürmte zum ersten französischen Tagessieg der 2011er-Edition. Die Favoriten neutralisierten sich wieder gegenseitig und lassen nun das Zeitfahren morgen entscheiden. Vorläufig im Gelben Trikot fährt dann Andy Schleck (Leopard-Trek).

Die Etappe heute war aber nur die zweitwichtigste Sache, die mein Gemüt bewegt hat. Je länger die Tour dauert, desto häufiger sitzt mein Team nicht mehr gemütlich im Lagerfeuerschein auf dem Campingplatz zusammen, sondern kommt allabendlich zum Lagerfeurkoller zusammen. Drei Wochen, in denen man Tag und Nacht aufeinanderhockt sind manchmal eine größere Tortour als die Tour selber. Alles nervt. Jede Kleinigkeit, die man an seinen Freunden vorher liebenswürdig gefunden hat. Zu Beginn fand ich es ulkig, dass Markus der einzige Mensch auf Erden isst, der Zwiebelringe-Chips mit Gabel isst, damit er sich nicht die Finger einsaut. Jetzt stört mich das. Simón der Dampfplauderer hatte so tolle Ideen, jetzt nervt mich seine Bastelei und im Rennen öffnet er weiterhin demonstrativ den Penöpel der Trinkflasche nur mit seinem Schweizer Taschenmesser-Schraubenzieher, wenn ich in der Nähe bin. Und mir geht seine Trainingsmethode auf den Keks.

Seit dem zweiten Ruhetag fahren und leben wir auf dem Zahnfleisch. Jeden Versuch, Lockerheit ins Geschehen zu bringen, torpedieren wir aus Prinzip gegenseitig. Markus’ Vorschlag, einen Kirschkernweitspuckwettbewerb beim Nachtisch zu veranstalten, endete in einer Prügelei zwischen ihm und Sim: „Du willst doch nur sehen, wie ich mir die auf die Schuhe spucke, du Armleuchter!“
Schmollend sitzen wir also beim Lagerfeuer und jeder kocht sein eigenes Süppchen. Oder spießt Energyriegel auf einen Stock und röstet sie im Feuer (Simón: „Ich nenne es Grilled Energybar-Schaschlik“). Zerbrechen an der Tour Freundschaften? Ich hoffe auf eine Versöhnung am morgigen, letzten Abend meiner letzten Tour. Nach einem hochdramatischen Zeitfahren in Grenoble, das uns einen ganz neuen Tour-Sieger präsentieren wird. A demain.

[size=150]Dinge, die wir nie von oder über jemanden hören oder sehen wollten[/size]

Folge 7: Andreas Klöden. Im letzten Jahr hat er uns noch mit falschen Bildern einer Horror-Schlafunterkunft genarrt, was sich als Zusatzbette herausgestellt hat und heute attackiert er erst Pierre Rolland, weil er nicht bei Voeckler geblieben ist und meint dann jetzt noch auf Twitter:

Also alles Bummeler, die 80 Fahrer, die das Rennen angeblich nicht mit Vollgas fahren, Herr Klöden?
Tim Krabbé meint zum Zeitlimit: „Eine rassistische Maßnahme. Von mir aus darf man jeden Vorwand nutzn, um einen Fahrer aus einem Rennen rauszuwerfen, jedoch nicht einen derart unverkennbaren Mangel an athletischem Leistungsvermögen. Das ist Nasenvermessung.“
Guter Mann. Quelle: Tim Krabbé - Das Rennen, S.111.

Classement de l’étape

  1. ROLLAND Pierre 188 TEAM EUROPCAR 3h 13’ 25"
  2. SANCHEZ Samuel 21 EUSKALTEL - EUSKADI 3h 13’ 39" + 00’ 14"
  3. CONTADOR Alberto 1 SAXO BANK SUNGARD 3h 13’ 48" + 00’ 23"
  4. VELITS Peter 179 HTC - HIGHROAD 3h 14’ 22" + 00’ 57"
  5. EVANS Cadel 141 BMC RACING TEAM 3h 14’ 22" + 00’ 57"
  6. DE GENDT Thomas 203 VACANSOLEIL-DCM 3h 14’ 22" + 00’ 57"
  7. CUNEGO Damiano 161 LAMPRE - ISD 3h 14’ 22" + 00’ 57"
  8. SCHLECK Frank 18 TEAM LEOPARD-TREK 3h 14’ 22" + 00’ 57"
  9. SCHLECK Andy 11 TEAM LEOPARD-TREK 3h 14’ 22" + 00’ 57"
  10. HESJEDAL Ryder 	55 	TEAM GARMIN - CERVELO 	3h 14' 40" 	+ 01' 15"
    


87. AVONLEA 231 EQUIPE AVONLEA 3h 38’ 52" + 25’ 27"

151. SELM Simón 233 EQUIPE AVONLEA 3h 38’ 52" + 25’ 27"

23. Juli 2011, 20.Etappe: Grenoble - Grenoble: 42,5km (CLM)

Protokoll eines Kampfes gegen die Uhr

Als Tagebucheintrag der heutigen, vorletzten Etappe der Frankreichrundfahrt 2011 mal ein Auszug aus dem Liveticker, den Marisol sonst aus dem Auto direkt für unsere Homepage macht, was heute aber mal jemand anderes übernommen hat…

10:00 In wenigen Minuten beginnt das Zeitfahren meiner Schützlinge. Simón und Avonlea haben heute morgen von mir Stullen mit einer extra dicken Schicht Wurst bekommen. Es wird in umgekehrter Reihenfolge gestartet, erst rollt Avonlea von der Rampe. Das hat aber nicht unmittelbar mit den massiven Stullen zu tun.

10:05 Das Problem beim Start ist, dass Avonlea und Simón nicht an ihn gehen werden.

10:08 Beide und dazu Markus sitzen in meinem Wagen und wir stehen seit über zwei Stunden im Mega-Stau nach Grenoble von Alpe d’Huez. Und wir sind nicht allein. Um uns herum sämtliche Teams, eingeklemmt zwischen Millionen von Fans.

10:10 Da denkt keiner dran, mal die Teams durchzulassen.

10:12 Rabobank hat jetzt aus einer Spur zwei gemacht und rollt mit zwei Rädern auf der Gegenspur. Die Wahnsinnigen. Wie kann man nur?

10:20 Es übernimmt: Simón Selm. Muddern schert nach links in die Gegenspur aus. Auch Markus fährt

10:21 aus der Haut.

10:30 Soeben hätte Avonlea starten müssen. Ich habe ja noch ein bisschen Zeit. So ist das eben, wenn man im Gesamtklassement weiter vorne liegt.

10:40 Soeben habe ich meinen Start verpasst.

12:47 Cancellara (Leopard) im Ziel. Die Equipe Avonlea steht kurz vor Grenoble. 57’15’’ für den Schweizer mit dem klangvollen Namen. Aufgrund der widrigen Bedingungen allerdings wird seine Zeit wohl am Ende doch geknackt werden.

12:52 Avonlea übernimmt: Mein Team hat gerade einen Namenswettbewerb ausgerufen. Gesucht wird ein neuer Name für Fabian Cancellara. Jemand mit so einem Nachnamen darf mit Vornamen nicht Fabian heißen. Wissen seine Eltern überhaupt, was das heißt? Der Bohnenpflanzer! Im Peloton darf nur einer diesen Vornamen tragen und das wäre Tom Boonen (Quickstep, ausgestiegen)

14:00 Zwischenzeit David Millar (Garmin): Fast eine Minute Rückstand auf Cancellara.

14:03 And the winner is: Francesco Giovanni da Cancellara. Der erste Preis für diesen Vorschlag geht an Sim. Eine von mir signierte Trinkflasche, die ich selber aus einem Graben gefischt habe.

14:07 Markus steigt aus und besorgt uns eine Kiste Selter: « Auch während des Zeitfahrens immer ordentlich trinken! Das Gehörn muss schön flüssig bleiben. »

14:15 Eurosport geht auf Sendung. Im Hintergrund der Startrampe: Simóns Mercedes. Wir sind in Grenoble angekommen. Vier Stunden nach meinem eigentlichen Start. Was nu?

15:00 Markus telefoniert mit dem Tourchef: « Christian, vieille maison! Schön, dich an der Strippe zu haben. Also wie du ja weißt, hatten wir einen kleinen bouchon… ja… tut mir leid, das geht nicht, wir sind fünf Stunden zu spät, der ganze Ablauf, du weißt ja… nein, uns aus der Tour zu nehmen ist keine Alternative, ich warne dich! »

15:08 « Alles klar, Christian, das ist ein Deal. Hol das Tauschobjekt gegen 16:00 ab. Dritte Mülltonne von links, in einem blauen Sack. Neben dem Medizinabfall von Astana. »

15:25 Tony Martin (HTC) pulverisiert die De Gendt-Zeit um über eine Minute.

15:42 Philipe Gilbert springt die Kette runter. Statt auf der Nase landet er aber auf dem dünnen Oberrohr seines Rads. Simón und Markus schreien kurz auf. Marisol und ich können nicht wissen warum.

15:45 Simón steigt wieder ein. Er hat Tränen in den Augen.

16:03: Alberto Contador steht auf der Startrampe.

16:04 Alberto Contador wird von den Offiziellen runtergeschubst. Er beginnt die Jagd auf das Podium.

16:36 Noch hat Pierre Rolland (Europcar) das Weiße. Rein Taaramae (Cofidis) hat ihm im Zeitfahren nicht genug Zeit abgenommen.

16:51 Rolland hat das Weiße endgültig. Félicitations. Aber es ist erst das zweite Trikot, über das eine Entscheidung gefallen ist. Es stehen noch aus: Gelb und Grün.

17:03 Die Milchschnitte hat die Tour verloren. 1:41 Rückstand auf Evans, der drei Minuten vor ihm auf der Strecke ist. Als schlechter Zeitfahrer gewinnt man keine Tour.

17:07 Simón beweint den Verlust seines Super-Bastel-Werkzeug-Taschenmessers an Christian Prudhomme. « Kopf hoch, alter Krieger, du hast es für uns getan. Dank dir kommen wir morgen nach Paris! », sagt Markus.

17:08 Voeckler im Ziel. Dieses Grün steht ihm nicht sonderlich, muss man sagen. Er rettet die Blechmedaille und wird morgen nicht auf dem Podium stehen.

17:09 Cadel Evans im Ziel. Er schüttelt kaum merklich den Kopf. Pourquoi?

17:18 Andy Schleck ist seinen gelben Strampelanzug los. Der Sieg der Tour 2011 geht zum ersten Mal in 98 Ausgaben nach Australien an einen sensiblen Mann mit Hundeblick, der gerade den Pullover seines Pressesprechers nassweint. Ist das schön.

17:20 Wir erscheinen im Tagesklassement an letzter Stelle. Ich bin genauso gut zeitgefahren wie Simón, sensationell! Ich wusste, dass ich das kann.

17:30 Siegerehrung ist durch. Das war wirklich rührend. Im Fußball braucht es einen Pokal oder eine silberne Schale um Sieger auszuzeichnen, im Radsport geben sich die Gewinner mit einem gelben T-Shirt und einem Kuscheltier zufrieden.

17:24 Wir verabschieden uns von unseren Lesern mit dem Ergebnis des Zeitfahrens: Es siegt Tony Martin vor Cadel Evans und Alberto Contador. Auf Platz 168 zeitgleich Simón Selm und Avonlea. Au revoir et à demain! Wir fahren nach Paris!

Classement de l’étape

  1. MARTIN Tony 175 HTC - HIGHROAD 55’ 33"
  2. EVANS Cadel 141 BMC RACING TEAM 55’ 40" + 00’ 07"
  3. CONTADOR Alberto 1 SAXO BANK SUNGARD 56’ 39" + 01’ 06"
  4. DE GENDT Thomas 203 VACANSOLEIL-DCM 57’ 02" + 01’ 29"
  5. PORTE Richie 5 SAXO BANK SUNGARD 57’ 03" + 01’ 30"
  6. GALLAND Jeremie 215 SAUR-SOJASUN 1h 06’ 52" + 11’ 19"
  7. AVONLEA 231 EQUIPE AVONLEA 1h 07’ 00’’
  8. SELM Simón 233 EQUIPE AVONLEA m.t.

der kampf gegen die uhr war so heftig,das man hier alles doppelt gesehen hat… :open_mouth:
ich habe mir erlaubt aufzuräumen
:wink: modoedwin

Hab ich zweimal gepostet? Die Internetverbindung hier irgendwo zwischen Grenoble und Dijon ist ein bisschen schlecht. :smiley:

:open_mouth: Man hört es soll auf dem Finalzielstrich zu einer Sensation gekommen sein ! :clap: Gesehen soll es allerdings keiner haben :sunglasses:

Dazu später. Ein Bericht folgt noch.
Erstmal der Rest meiner Rezensionen zum Proviant-Korb vom ersten Ruhetag.

Romane II

Caroline Vermalle: Denn das Glück ist eine Reise, 2010

Denn das Glück ist eine Reise ist ihr erster Roman, mit dem sie nicht nur lobende Kritiken erntete.“ Dieser Satz steht im Klappentext des Romans, den ich jetzt kurz vorstellen möchte. Hätte ich das gelesen, bevor ich das Buch gekauft hätte, hätte ich es nicht gekauft. Welcher Verlag schreibt seiner Autorin sowas ins Buch? Das soll verkaufsfördernd sein? Als ich es kaufte, war es dummerweise eingeschweißt und nagelneu. Ich kaufe nie nagelneue Bücher. Meine sind immer aus Antiquariaten oder preisreduzierte Mängelexemplare. Nur für dieses Buch habe ich eine Ausnahme gemacht, weil es von den zwei Sachen handelt, die mir am besten gefallen. Reisen durch Frankreich und die Tour de France.
Der Roman handelt von zwei alten Herren, Georges und Charles, die sich im Herbst ihres Lebens aufmachen zu einer großen Reise, der Tour de France. Mit dem Auto allerdings. Im Herbst 2008 wollen sie die Strecke abfahren, die zwei Monate zuvor die Profis genommen hatten, von der Bretagne aus durch das Land bis nach Paris. Sie selber wohnen in der Vendée. Das Buch ködert übrigens mit einem Lavendelfeld als Titelbild…
Die beiden Alten machen sich auf. Georges hat dabei aber ein Problem: Er denkt, dass seine Tochter in Costa Rica seine Enkelin auf ihn angesetzt hat, sich um ihn zu kümmern - per SMS, die diese ihm von ihrem Filmjob in London schickt. Also tut er sein Bestes, um geheim zu halten, dass er mit dem Auto auf Safari ist. Das hält nicht mal bis zum eigentlichen Start der Tour, weil sie im Graben landen. Nach gut 220 Seiten und am Ende des Romans sind die zwei Alten immer noch in der Bretagne, haben auf dem Weg auch nicht viel erlebt. Ein paar Leute getroffen und Georges hat sich in die Schwester seines Freundes und Nachbars Charles verliebt und einer der beiden Männer stirbt. Auch Charles Geheimnis, warum er diese Tour machen wollte, wird enthüllt. Falls jemand das Buch lesen will, werde ich das Ende natürlich nicht verraten.
Beim Lesen wird aber deutlich, warum Vermalle damit nicht nur lobende Kritiken erntete. Weil es nicht gut ist. Es liest wie das Vorbereitungsmanuskript für einen Roman, mit aneinandergereiten Ereignissen und ohne jeglichen Spannungsaufbau. Die Tour de France gibt nur ganz blass den Rahmen vor und spielt in kaum einem Kapitel überhaupt eine Rolle als landschaftlicher oder historischer Leitfaden. Außerdem zweifle ich nun einmal mehr daran, dass moderne Dinge wie SMS, Internet und Facebook etc. dazu taugen, Literatur zu machen. Es ist öde in einem Buch manchmal SMS lesen zu müssen. Ich bin enttäuscht. Über eine lockere Sommerlektüre mit einer an sich guten Idee, das Leben und die Hoffnung älterer Menschen darzustellen, kommt das Buch nicht hinaus. Den Flair der Tour hat es auch nicht. Null.
Bewertung: **

Tim Krabbé: Das Rennen, 1978

Was soll ich zu diesem Buch noch sagen? In drei Wochen dieser Tour de France habe ich fast alles gesagt. Ich habe mein Tagebuch mit einem seiner Sätze eröffnet und bei allem, was wichtig war, zitiert. Hinten auf dem Deckel steht drauf: „Bei Krabbé erfährt der Leser mehr über den Radsport, über seine Historie, die Taktik und die Psychologie der Fahrer als an einem ganzen Tag öffentlich-rechtlicher Fernsehberichterstattung über die Tour de France.“ (Der Tagesspiegel). Und das ist so. Ich habe alles gelernt. Das Paris-Roubaix unter den Radsportromanen ist mein Highlight unter allen Büchern, die ich hier vorgestellt habe.
Krabbé beschreibt in seinem autobiographisch gefärbten Roman einen einzigen Tag, bzw. ein paar Stunden daraus. So lange es dauert, die Mont-Aigoual-Rundfahrt 1977 zu fahren. Ein kleines Rennen in den Cevennen. Es ist ein in Kilometerhäppchen geschnittenes Protokoll des Schmerzes, der Leidenschaft und der Liebe dieses Sportes. Krabbé weiß auf alle Fragen des Radsportes und des Radfahrens an sich Antworten. Er erklärt alle Mysterien. Und das in einer ganz tollen und verblüffenden Sprache. Es ist ein lyrischer, sehr reicher Text, aber leicht zu lesen und zu verstehen. Nach der Lektüre weiß man, warum man sich das anschauen sollte, wie man sich das anschauen sollte und was es bedeutet, selber Rad zu fahren. Die Essenz eines komplizierten Sportes auf 160 Seiten gebannt.
Nicht umsonst ist meine Ausgabe von Reclam, dem Klassikerverlag unter den Verlägen für Klassiker der Weltliteratur.
Bewertung: *****