Von kleinen Königinnen, Tänzerinnen und dem Mann mit dem Hammer: Der Sommerloch-Tour-Blog
Na, habt ihr mich vermisst gestern? Ich hoffe doch sehr! Aber ich habe einen sehr guten Grund. Gestern in aller Frühe stieg ich in den Flieger nach Rotterdam, erst mein fünfter Flug insgesamt, wenn man alle Teilstrecken zwischen Hamburg und Nizza mitrechnet.
Das Motto der nächsten drei Wochen lautet: Lohnt es sich, die Tour zu fahren oder sollte man darauf verzichten?
Aber Schluss jetzt mit dem heißen Brei. Ab heute werden sowieso nur noch Nudeln gegessen und klebrige Powergels. Ich fahre die Tour de France. Vor Monaten berichtete ich hier im Forum, dass ich diesen Sommer nicht nach Frankreich fahren kann und deshalb geknickt war. Dass ich nun doch noch nach Frankreich kann, kam ganz überraschend.
Ich möchte gar nicht sagen (nicht so öffentlich), wie ich dazu kam, aber ich sage soviel: Es waren verschlungene Wege. Das ist aber nicht wichtig. Ich habe die Wildcard und werde als unabhängige Teilnehmerin bei dem größten jährlichen Sportereignis der Welt starten und wieder einen Frankreich-Reisebericht abliefern, diesmal aber live! Im Teambus gibt es einen Laptop mit Internetanschluss.
Das wird ein Erlebnis! Als ich letzte Woche das Ok bekam, habe ich schnell noch ein Trainingslager eingelegt, bin eine Stunde lang die Treppen der philosophischen Fakultät meiner Uni die 14 Stockwerke auf und ab gelaufen (Sauerstoffzelt stand im siebten Stock, nicht ganz oben. Das ist eine Taktikfrage.), den Waseberg in Blankenese erklommen, die Windkante am Deich getestet und einen Coopertest absolviert (Erinnert ihr euch? 12 Minuten lang so schnell laufen wie man kann und der Sportlehrer guckt zu). Ich fühle mich bestens vorbereitet.
Zudem habe ich allerhand französisches Rad-Vokabular gelerrnt, das ich selbstverständlich an euch weiterreichen werde im Laufe dieser Tour.
Ich muss mich natürlich erst im Feld etablieren. So stagiaires haben es ja nicht leicht. Und die Sponsoren müssen erst auch noch klingeln. Das hat aber auch was Gutes: Ich bin der Herr in meinem eigenen Team. Mein Begleitfahrtzeug ist ganz unfreiwillig und unbedacht eine Mercedes C-Klasse, die mein Teamchef, Physiotherapeut, Manager, Pressesprecher und sportlicher Leiter letztes Jahr günstig in Warschau erworben hat. Das ist auch mein Teambus. Die C-Klasse hat einen Vorteil; die Dixie-Dusche passt quer in den Kofferraum. Das Auto macht was her, im Vergleich zu den Skodas der anderen!
Ich habe ihn gerade schon erwähnt, meinen treuen und einzigen Begleiter, Simón. In den kommenden Tagen werde ich auch ihn noch genauer vorstellen.
Heute war die Teampräsentation. Das war was aufregend! Man kann sich als Einzelkämpfer nicht in der Masse verstecken. Ich wäre liebend gerne zusammen mit einem anderen Team die Rampe hochgefahren und hätte mich in die zweite Reihe gestellt. Das geht aber natürlich nicht. Also bin ich da alleine hoch, als mein Teamname aufgerufen wurde. Das war ein Moment! Wie als wenn du Bruce McLaren heißt, ein eigenes Formel-1-Team aufmachst und für dein eigenes Team fährst! Nur mit dem Unterschied, dass ich noch gefahren bin. Immerhin hat so keiner Probleme, sich meinen Namen zu merken. Und nein, die erste Avonlea-Panne ist mir heute noch nicht passiert, ich habe die Rampe nicht verfehlt.
Die Kameras blitzten und ich grinste. Jemand hat auch gelacht, aber das war bestimmt nicht wegen mir. Ok, mein Rad war ein bisschen peinlich. Beim Ausbauen der Rücktrittbremse ist mir ein Fehler unterlaufen. Bis morgen ist das aber repariert. Auf dem neusten Stand ist mein petite reine, wie der Franzose liebevoll sein Rad nennt, leider auch nicht. Das deutsche Wort Drahtesel würde eher passen. Aber wie unglamourös das klingt! Kein Wunder, dass die Franzosen eine Radsportnation sind und wir nicht. Bei den linguistischen Bedingungen.
Ma petite reine!
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Bei meiner Debüt-Tour habe ich verschiedene Ziele.
- Innerhalb der nächsten Tage mein Rad tauschen. Das Bianchi von 1922 ist nicht mehr auf dem neusten Stand.
- Bis Paris in Form kommen
- In Paris ankommen
- Der Toursieg ist nicht mein Ziel, aber die lanterne rouge ( = Letzer des Klassements)hätte ich schon gerne.
Ich bin so ein Allrounder, ich kann alles nicht, aber das sehr gut. Ich werde alles mal ausprobieren. Potentiell bin ich leider der grimpeur poids-plume, der Bergfloh, nur ohne das Berg- davor. Vielleicht habe ich aber doch einen Vorteil, der leichteste und zweitkleinste Fahrer im Feld zu sein. On verra. Ich möchte auch nicht gleich meine Pläne offenlegen. Der Lenz liest vielleicht mit.
Für den Prolog, ein kurzes Zeitfahren über 8,9 Kilometer in Rotterdam am Samstag, habe ich mir eines der modernen Zeitfahrmaschinen vom amtierenden Zeitfahrolympiasieger und Zeitfahrweltmeister Fabian Cancellara ausgeborgt. Der war ganz heiß darauf, das Rad loszuwerden. Kann ich gar nicht verstehen, aber ich bin froh drüber. Ok, der Rahmen ist etwa drei Nummern zu groß, aber Simón hat die Pedalen ein bisschen hochgeschraubt. Das wird schon gehen. Ich bin überzeugt von mir. Und ich freue mich darauf, euch ab Samstag mit durch Frankreich zu nehmen. Wer etwas Landestypisches beisteuern möchte, darf das selbstverständlich gerne tun. My Reise is your Reise!
So ganz langsam wird es in Rotterdam dunkel. Wir haben immer noch 25°C, wenn das so bleibt, erwarte ich für Sonntag eine Hitzeschlacht. Ich weiß noch nicht, ob mir das liegt. Ich bin eher so der Nieselregentyp.
Bis Samstag dann.
Glück auf!
Und bergauf.
Hier noch mein Kalender für die nächsten drei Wochen.
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