… sagte einst Matthias Claudius. Der Koffer ist ausgepackt, Erinnerungen sortiert und das Wetter zu Hause zum Glück regnerisch, so dass ich gerne zurückdenke und das mit euch teile. So nach und nach packe ich hier Texte und Fotos rein. Ich bin aber eher Textfan und habe im Urlaub mehr geschrieben als Fotos gemacht, man möge mir das nachsehen. Hoffentlich habt ihr trotzdem ein bisschen Spaß.
[size=150]Elsass[/size]
Ende Juli in Norddeutschland. Der Sommer ist von dannen gezogen und auch wir Zugvögel machen uns auf in den Süden. Wie schon vor zwei Jahren geht es an die Küste des Departements Var, am Rande des Massif des Maures, zwischen Bergen und Meer. Wir als Reiseveranstalter geben uns selber eine Sonnengarantie und werden nicht enttäuscht werden! Das steht nicht zur Debatte.
Die Fahrt ist lang und öde. Die Heide endet nicht. Niedersachsen endet nicht. Und vor allem: Hessen endet nicht. Mein unausgeschlafenes Gehirn befindet, dass niemand dieses Bundesland braucht. Wozu braucht Deutschland Hessen? Ohne die Finanzmetropole Frankfurt hätten wir weniger Kokser und Poser und in der Kuchen- und Tortenlandschaft eine creme-fettige Speise weniger. Keine nicht endenden Felder und langweilige Dörfer mehr. Meinetwegen können wir Hessen ausbaggern und exportieren. (1)
Endlich in Baden-Würtemberg angekommen stapeln sich am Horizont die angesagten Regenwolken. Ich mache mir Gedanken um unseren Zwischenstopp, den ich sehnlichst herbeiwünsche: Riquewihr im Elsass. Da war ich noch nicht und dachte mir, man könnte die lange Fahrt teilen und dabei noch ein paar Stunden etwas Nettes anschauen. Droht das jetzt ins Wasser zu fallen?
Der Schwarzwald liegt im Dunst, zumindest so weit man das vom Auto aus noch sehen kann. Früher als Kind war die Fahrt parallel zur Grenze immer ein Highlight, das erste echte Gebirge auf der Tour, das den Horizont markiert. Kleine Burgen, Antennen, Wege, Straßen, die man aus der Ferne bestaunen kann, dazu Städte und Dörfer. Diesmal ist das anders. Statt „Weinland Ortenau“ kurz vor der Grenze hätten sie auf das Schild am Rande der Autobahn auch „Maisland Ortenau“ drucken können. In diesem Jahr hat man in meiner Dorfstraße das erste Mal überhaupt Mais gepflanzt und es beeindruckt mich immer wieder jeden Morgen, wenn ich mit dem Rad daran vorbei fahre. Erst seitdem drängt sich die allgemeine Beobachtung und die Warnung, dass Europas Landwirtschaft immer mehr aus Mais besteht, der als rentables Futter- und Energiemittel angebaut wird, in mein Bewusstsein. Und jetzt das. Kilometer an Kilometer reihen sich die Maisfelder aneinander und lassen die Landschaft dahinter aufgrund ihrer Höhe nunmehr gerade noch erahnen. Schade. Das hätte ich bei uns auch haben können.
Ab über die Grenze
Ein letzter Halt zum Mittagessen auf deutscher Seite. Vom Brummifahrertisch besorge ich mir die örtliche Tageszeitung und sehe mein Süddeutschland-Klischee bestätigt: Der Papst auf der Titelseite. Danach machen wir rüber. Beim Überqueren der Rheinbrücke fallen erste Tropfen. Ich fühle mich an den Ch’tis-Film erinnert. Und kurz vor dem Ziel dann werden wir Zeugen von dicken Wassertropfen auf der Windschutzscheibe, während in der Landschaft die Weinreben vorbeiziehen. Fronkraisch! Nach fast zwei Jahren wieder da und überhaupt erst wieder Urlaub. Es wird schwer, sich darauf einzulassen, den Geist einfach ruhen und die Seele baumeln zu lassen.
Riquewihr. Hübsches kleines Dorf, überlaufen von Tagestouristen, trotz des Regens, und vollgestopft mit Weinstuben. Nur in den Nebengassen gibt es ein Stück Idylle und außerhalb der Stadtmauer leben gar Leute. 1200 insgesamt. Auf dem Weg kamen wir durch Zellenberg, noch ein etwas kleineres Dorf mit bunten Häusern, wie überall in dieser Gegend. Ich frage mich, wie es dazu kam, Häuser so bunt anzupinseln. Nicht nur wie in Italien orange oder gelb, sondern in wirklich allen Farben des Tuschkastens. Fast Neonfarben sind das. Blau, Rot, die gelbste Stufe von Gelb, Grün. Wann fing das an? Mir gefällt das! Ich würde meines lila anpinseln, wenn ich eines hätte. Lavendellila, und dann in die Blumenkästen davor gelbe Blumen pflanzen.
Riquewihr ist eine mittelalterliche Gründung und einer der Hautpstädte des Weins an der Elsässischen Weinstraße. Es gibt schönes Fachwerk und knubbelig unebendes Kopfsteinpflaster in der Rue Charles de Gaulle, die Hauptstraße des Dorfes in Ost/West-Richtung. Ich habe gelesen, dass das Elsass für die Franzosen in etwa so exotisch ist wie für uns Tahiti. Das bestätigt sich meines Erachtens, wenn ich die vielen Franzosen sehe, die mit ihrem Reiseführer unter der Nase und den Kopf im Nacken die Häuser bestaunen. Diese Art von Touristen habe ich bisher nirgends sonst in Frankreich gesehen. Auch die deutschen Lehrer fühlen sich im Elsass wohl. Irgendwo anders las ich vor kurzem, dass es das beliebteste Ferienziel für deutsche Studienräte ist. Passt irgendwie, finde ich. Passt super.
Wir schlenderten durch die Gassen, bestaunten das Wahrzeichen der Stadt, den Dolder, ein Fachwerk-Torturm am Westende der Rue Général de Gaulle, das Maison Jung-Selig, eines der höchsten Fachwerkhäuser im Elsass (und gelb gestrichen), das Obertor und die Post außerhalb der Mauern, dessen Fassade mit Blumenrankeln eigenartig verschnörkelt aber hübsch wirkt. Das ist also, was Leute immer so gerne mit „pittoresk“ bezeichnen.
Wir wandern mal eben nach Colmar. Unabsichtlich.
Riquewihr am Abend dann ist plötzlich seltsam ruhig, schön und ein bisschen sowas wie authentisch. Wenn die Tagestouristen weg sind und sich auch die Sonne früher als in der Ebene hinter die Berge vom Acker gemacht hat. Der Regen ist längst vorbei, die Pfützen trocknen ab und wir machen uns auf die Suche nach etwas Essbarem. Um die Reisekasse nicht gleich zu Beginn unnötig zu strapazieren, entscheiden wir uns gegen Weinstuben, Flammkuchen oder Choucroute und suchen nach einer Bäckerei. Nur ein Baguette kaufen. Die einfachste Sache der Welt in Frankreich, könnte man denken. Nicht in Riquewihr.
Erstmal den Belag kaufen. Salat oder sowas. Ein Schild, auf dem „Epicerie“ steht, führt ins Leere. Also dann Baguette ohne was drauf. Bäckereien sollte es doch geben, bei der ersten Besichtigung vorhin sind wir an massenhaft Kuchen, Makronen und sonstigem Gebäck vorbeigerannt. Auf den zweiten Blick aber fällt auf, dass die natürlich als Patisserien keine Baguettes haben. Nach einer Stunde dann, in der wir mehrfach durch und um das Dorf herum gestreunert sind, ergatterten wir ein halbes Pain, ein etwas dickeres Baguette also. Ein halbes Pain. Das ist die ganze Ausbeute. Selten zuvor ist mir in Frankreich so klar geworden, was es heißt, ganz auf Touristen ausgerichtet zu sein. Da gibt es dann „urige“ regionale Besonderheiten, Kekse und Gugelhupfe, Weinstuben und Restaurants, aber normale Menschen und Selbstversorger müssen hungern.
In der letzten Sonne des Tages unternahm die Hälfte von uns dann noch eine kleine Wandertour. Nur mal kurz ein Stück den Weinberg hinauf und auf das Dorf runtergucken. Ein paar idyllische Fotos machen. Die kleine Tour fing erst gar nicht richtig an, eine Straße oder ein Wanderweg nach oben ließ sich nicht finden. Mitten durch den Weinberg wollten wir auch nicht, das macht man doch nicht. Also kletterten wir einen glitschigen Rasenstreifen ganz am Rande der Reben nach oben und wechselten dann in eine steinerne Abflussrinne. So muss sich ein Schmalspurtrecker mit Überrollbügel fühlen, ein Lieblingsbeispiel für EU-Recht in der Jura-Vorlesung.
Immer wenn unten auf der Straße ein Auto vorbeifuhr, fühlten wir uns ertappt und rechneten damit, dass es der Weinbergbesitzer war und seinen Hund auf uns hetzen würde. Immerhin sind das hier große, teure Weine, dessen Trauben wir bedrohlich nah kamen. Es ging aber gut und wir landeten mit eingeschmodderten Schuhen oben auf der Straße. Welch eine Sicht! Auf die dunkelgrünen Berge, hinter denen die Sonne am Verschwinden war, rüber nach Zellenberg und hinunter in die Rheinebene und das noch sonnige Colmar. Zurück entschieden wir uns dann ordnungsgemäß für die Straße, wo auch immer die hinführen würde. Statt zehn Minuten dauerte der Abstieg dann über eine Stunde. Und weit und breit keine Menschenseele. Kein Mobiltelefon dabei und nirgends eine Notrufsäule. Schön hilfreich waren auch die Straßenschilder. An einer Kreuzung mit drei schmalen Straßen wies der hölzerne Wegweiser in die eine Richtung „Chemin des Grands Crus“ aus. In die zweite: „Chemin des Grands Crus“. In die dritte: „Chemin des Grands Crus“ …
Ein schönes Fleckchen Erde, das Elsass. Die richtige Wahl für einen Zwischenstop.
Wie lässt man die Touristen auf Fotos verschwinden? Richtig, einmal nach oben gucken und da fotografieren. Ansicht des Dorfes.
Die Post.
Die Wanderslüüd sehen: Zellenberg in der nahen Ferne.
Riquewihr von der Nordostseite am Abend.
Mehr Informationen
Internetseite des Touristenbüros
Französischer Wikipedia-Eintrag
(1) Wer an dieser Stelle protestieren möchte, sei auf das Happy End des Endes eine Woche später verwiesen. Geduld, Geduld.