Das Mädchen, das die Seiten umblättert
Originaltitel: La Tourneuse de Pages (F, 2006)
Regie: Denis Dercourt
Darsteller: Catherine Frot, Déborah François, Pascal Greggory, Clothilde Mollet
Die Praktikantin Melanie bietet ihrem Chef an, sich in den Ferien um dessen Sohn zu kümmern. Im Landhaus der Familie wird sie bald auch zur Vertrauten und Notenumblätterin der Hausherrin, einer Pianistin in der Krise: eine seltsame Beziehung mit katastrophalen Folgen.
Melanie, ein Mädchen aus bescheidenen Verhältnissen, spielt mit großer Begabung und Leidenschaft Klavier. Seit langem fiebert sie der Aufnahmeprüfung für das Konservatorium entgegen. Doch das Vorspielen endet im Fiasko, als die Jurypräsidentin, die bekannte Pianistin Ariane Fouchécourt, Melanie beim Vorspielen mit ihrem taktlosen Verhalten aus der Fassung bringt. Enttäuscht und wütend beschließt sie, das Klavierspielen aufzugeben und ihren Traum von einer Karriere als Pianistin zu begraben.
Zehn Jahre später kreuzen sich ihre Wege wieder. Melanie macht ein Praktikum bei dem Anwalt Foucécourt und bietet an, sich in den Ferien um seinen klavierspielenden Sohn zu kümmern. Seine Mutter ist niemand anderes als die Pianistin aus ihrer Kindheit. Im abgelegenen Landhaus der Fouchécourts gewinnt Melanie schnell das Vertrauen von Ariane, deren Karriere auf der Kippe steht. Dank ihres musikalischen Talents macht sich Melanie als persönliche Notenumblätterin der verunsicherten Pianistin unentbehrlich.
Ariane scheint in ihrer Gegenwart wieder mehr Selbstvertrauen in ihre künstlerischen Fähigkeiten zu finden. Was aber verbirgt sich hinter den intensiven Blicken, die Melanie Ariane zuwirft? Auch die Außenstehenden, wie die Geigerin des Trios, bemerken, dass die Beziehung der beiden Frauen immer enger wird.
Tatsächlich wagt Ariane wieder einen öffentlichen Auftritt. Bei einem Schostakowitsch-Konzert blättert Melanie die Seiten der Partitur für sie um. Und Ariane, anfangs noch nervös, spielt immer entspannter, mit einem wiedergefundenen Vergnügen, mit einer Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit, die das Publikum begeistert. Ariane wird beglückwünscht und um Autogramme gebeten, Melanie aber ist plötzlich verschwunden. Als Ariane sie schließlich findet, wird sie von einem Kuss Melanies überrascht und zutiefst verwirrt.
Zurück in der Villa bereitet sich Ariane auf ihr nächstes Konzert vor. Immer stärker fühlt sie sich zu dem jungen Mädchen auch erotisch hingezogen. Stück für Stück wandelt sich Melanies scheinbar kindliche Verführung zur reifen Sinnlichkeit – und ihre sexuelle Ausstrahlung wirkt nicht nur auf Ariane. Als der Cellist des Trios sich ihr zu nähern versucht, geht sie zunächst auf die Avancen ein, um ihm dann die Spitze seines Instruments brutal in den Fuß zu rammen.
Auch mit dem jungen Tristan spielt sie kleine sadistische Spielchen. Erste Risse in ihrer engelhaften Fassade tun sich auf. Trotzdem lässt sich Ariane nicht davon abhalten, an die wundersame Wirkung ihrer Notenumblätterin zu glauben. Aus der Vertrautheit, der erotischen Spannung wird Hörigkeit. Kurz vor dem neuen Konzert verschwindet Melanie und lässt Ariane allein. Aus sicherer Entfernung erlebt sie ihr Scheitern auf der ganzen Linie. Aber damit ist ihr raffinierter Rachefeldzug noch lange nicht zu Ende.
Drei Nominierungen für den „César“ – für Catherine Frot, Deborah François und den Komponisten Jérôme Lemmonier - entfielen auf die „sehr subtil zelebrierte Grausamkeit“ (Frankfurter Neue Presse). Der vierte Spielfilm des französischen Regisseurs und Drehbuchautors Denis Dercourt ist der erste, der den Weg ins deutsche Kino fand und hier bei Publikum und Kritik bestens ankam.