Patrons als Geiseln

In Frankreich kehrt eine radikale Form des Arbeitskampfs zurück, die zuletzt in den wilden Sechzigern und Siebzigern praktiziert wurde: Die Geiselnahme der eigenen Chefs.

Mehrfach wurden in den letzten Wochen führende Mitarbeiter und Direktoren von Unternehmen über Nacht (bzw. Nächte) in ihren Büros festgehalten. Die Gewerkschafter hofften, so bessere Sozialpläne bzw. Abgangsentschädigungen für Entlassene zu erwirken.

Der Druck zeigte bis jetzt meist (etwas) Wirkung: Die Medien reden über die Aktion, die Regierung fühlt sich zur Stellungnahme verpfllichtet, die Unternehmensspitzen reagieren mit Zugeständnissen.

Einer Umfrage zufolge ist nur eine knappe Mehrheit der Gesamtbevölkerung gegen diese - illegalen - Geiselnahmen. Eine Mehrheit der Arbeiterschaft aber ist dafür!

Frankreich als Vorbild im « Klassenkampf »?

Ich kann die Wut der Leute verstehen und als ich das erste Mal von diesen Geiselnahmen hörte, musste ich schon grinsen.
Auf der anderen Seite kann man rechtswidrige Dinge nicht billigen. Auch wenn den Arbeitern Unrecht getan wird, kann das nicht mit gleichem Unrecht vergolten werden.

Die Frage ist auch, was diese Arbeiter tun würden, wären sie stinkreich und hätten Macht. Würden sie anders handeln als ihre Chefs es getan hätten? Sind das bessere Menschen selbst in dem Moment, wo sie alles dürfen? Das bezweifle ich.
Auch diese Geiselnahme ist m.E. nur Ausdruck von Egoismus. Jeder auf dieser Welt kümmert sich nur um sich und fordert für sich Rechte sein. Dagegen ist nichts einzuwenden, so funktioniert es halt. Auch nicht dagegen, dass die öffentliche Meinung auf der Seite der Schwachen ist. Trotzdem finde ich nicht, dass man diese Geiselnahmen bejubeln sollte.

Schön ist aber zu sehen, dass die Franzosen als bisher einzige Europäer wieder einmal einen Weg gefunden haben, ihrem Ärger Luft zu machen und ihre Meinung kund zu tun. In Deutschland ist das nicht möglich, weil ja das Betreten des Rasens verboten ist, die Demonstration ausfallen muss…

Von Egoismus, sicher nicht…von Verzweiflung, schon!Es handelt sich dabei nicht um einzelne Menschen, sondern um eine Menge Arbeitnehmer, die die Arbeitgeber wie Papertücher behandeln , die man nach Benützung einfach wegwirft. Das Wort „Geiselnahme“ scheint mir dabei ein bißchen übertrieben zu sein. Die eingesperrten Patrons dürfen ihren Rechtsanwalt und ihre Familie anrufen. Bisher ist die Polizei noch nie eingegriffen und keiner von den eingesperrten Patrons hat bis jetzt Anklage erhoben.
:wink:

Ich würde zwar umgangssprachlich den Begriff der Geiselnahme verteidigen, denn er führt bildlich und allgemeinverständlich vor, was hier geschieht.

Aber streng juristisch hast Du mit Deiner Begriffskritik natürlich Recht, Michelmau. Es handelt sich in den geschilderten Fällen wohl « nur » um eine Nötigung (ich vertrau hier mal auf wiki: de.wikipedia.org/wiki/N%C3%B6tigung ), zweifellos aber eine « verwerfliche » (im Sinne des deutschen Strafgesetzbuchs) und damit eine rechtswidrige und bestrafbare (dies gewiss auch im Sinne des schweizerischen oder französischen Strafrechts).

Zur Geiselnahme (nach deutschem Gesetz) gehört neben der Freiheitsberaubung auch die Androhung eines « schweren Übels », zB einer schweren Körperverletzung.

Was hier eindeutig nicht gegeben ist.

:laughing: Ich wart schon lange drauf dass das mal passiert

Pfarrer Seehofer :unamused:

Michelmaus Argumentation ist vor allem vom moralischen Standpunkt her :top: . Nötigung oder Geiselnahme :unamused: Es ist natürlich auch eine Frage des Mumms auf diese Art und Weise zu protestieren :viking:
In D wie man vermuten kann kaum möglich, da hier andere Kategorien zählen. z. B solche :veneration: :king:

Ich dachte an das hier, als ich von Egoismus schrieb:
de.wikipedia.org/wiki/Ethischer_Egoismus
:wink:

Ne, im französischen Strafrecht fällt es unter „Politikum“ und wird demzufolge gar nicht verfolgt.

Wo kein Kläger - auch keine Straftat.
Und tritt ein (privater) Nebenkläger auf, dann wird die Anzeige einfach nicht aufgenommen.
Und ist er überaus hartnäckig, und findet auch noch einen gutmütigen Staatsanwalt (der auch bald gefeuert werden dürfte) - dann wird die Akten nach 5 Jahren erfolglosen Ermittlungsverfahren verschlampt - und das Verfahren eingestellt.

Fertig aus - halt ein Politkum.

Apropos Geiselnahmen, mich hat die Titelseite der satirischen Zeitschrift von dieser Woche besonders lustig gemacht.

Die auf dem Floß sitzenden Franzosen warten auf eine bessere Zukunft.

In der Sprechblase steht geschrieben: « Nur noch drei Jahre lang müssen wir durchhalten ».

:wink:

Das könnt man auch vorher erwähnen, wenn man so ne exklusive Vorstellung von Egoismus hat. :coucou: dann muss man im Nachhinein keine Anleihe bei den Individualanarchos nehmen

Hübsch in der Tat, Michelmau, die Geiselnahme durch Sarkozy :smiley:

[size=75]Quelle: t-online.de[/size]

Irgendwie doch ein cooles Völkchen, diese Franzosen. :laughing: So ernst der Hintergrund ist, ich musste erstmal lachen, als ich es vorhin im Radio hörte.

Also mir persönlich geht das zu weit. Das ähnelt zu sehr einer gewöhnlichen Erpressung. Mit solchen Gewaltakten wird auch nichts besser.

Natürlich ist das extrem. Aber auf die Idee muss man erstmal kommen.

etwas hart, aber… respekt.

dafür wäre jeder deutsche arbeiter zu faul, träge, feige oder sonstwas.

ich kann die arbeiter verstehen und wenn sie das durchziehen sollten… das könnte ein exampel werden.

Ist man zu feige oder faul, weil man seine Firma mit der ersten Schwierigkeit nicht anzündet ??
Das finde ich schockierend, und dass Leute sochle handlungen unterstützen und als „exampel“ bezeichnen schockiert mich noch mehr !
Schließlich geht es um Feuer und Lebensgefahr… Niemand kann das Feuer beherrschen, und wer weiß, wie weit es gehen könnte…
Und wenn alles in Asche ist, was machen sie denn ? :unamused:

Und ein „example“ ist es auf keinen Fall… Wenn die Arbeiter ihre Fabrik verbrennen dürfen, dann dürfen auch die Jungen in den Vorstädte die Polizeiwagen anzünden, und ich das Auto meines Nachbars, wenn ich Problem mit ihm habe… :unamused:
Alles geht viel zu weit, und ich hoffe, dass sie hart bestraft werden, auch wenn es nur eine Drohung bleibt…

Das Leben ist schwer für viele… und noch viel mehr in anderen Ländern ! :unamused:

Sicher, die Drohung ist schon zu viel und sicher auch strafbar.

Aber, und dieses « Aber » muss ich mit einem « Leider » ergänzen:

Wir haben 35 Stunden gearbeitet, dann hat man uns das Urlaubsgeld genommen, dann war kein Geld mehr da, um Weihnachtsgeld zu zahlen, im Winter haben wir bei 10° im Büro gesessen « Das Öl ist zu teuer », dann haben wir 40 Stunden gearbeitet, inzwischen arbeite ich an bis zu 7 Tagen in der Woche und komme auf 50 bis 65 Stunden. Ohne Lohnausgleich oder Freizeitausgleich. Heute kam die Ansage, die Mitarbeiter wollten ja gar nicht arbeiten. Und als jetzt bei 32° im Büro der Ventilator lief « In Berlin müssen die Beamten den Strom dafür selber zahlen! »

« Wie lange lassen wir uns das denn noch gefallen? »

Den Vergleich zu anderen Ländern lasse ich so nicht gelten. Denn die haben auch andere Verhältnisse. Es muß doch noch Menschen geben, die die Produkte kaufen (können), die wir hier in Frankreich oder Deutschland herstellen. Und wo das hinführt, wenn die Binnenmärkte schwächeln, merken wir doch im Moment.

Vielleicht sollte mal etwas Spektakuläres passieren, damit alle wach werden. Bei Air France gibt es, lt. der Presse, inzwischen auch Stimmen, die über bessere Schulungen nachdenken. Warum wohl? Müssen erst so viele Menschen sterben?

Damit meinte ich nicht, dass die Franzosen nichts sagen bzw machen müssen, nur weil die Situation der Afrikaner noch schlimmer ist.
Aber falls die Arbeiter ihre Arbeite verlieren, kriegen sie Arbeitslosengeld, und haben immer noch ein Haus, und eine krankenversicherung, und finden immer etwas zu essen.
In vielen Ländern ist es nicht so, und die Leute verbrennen nichts… Wenn ein Mensch etwas zerstören würde, wenn seine finanzielle Situation sich verschlimmert, würde 3/4 der Erde in Aschen und Trümmern liegen… Aber zum Glück sind die anderen nicht so wie die franzosen ^^

Ja, genau. Warum sollte man eine ganze Fabrik mit wertvollen Machinen zerstören, um etwas verändern zu können ?

Bei mir persönlich haben diese Ereignisse nur eine Folge : ich habe immer weniger Vertrauen in den Gewerkschaften… :unamused:

hallo mislep,

ich denke, du hast noch nicht viele arbeitskämpfe in deinem leben mitgemacht, hast vielleicht nichts von den schliessungen der metallhütten in deutschland mitbekommen. da habe ich mitgekämpft. ich habe auch gegen atomkraftwerke gekämpft und die polizei hat die traktoren der bauern, die angst um ihr land und um sich selbst hatten, zerstört. nur mal so als beispiel.

wenn ein manager eine firma zu grunde richtet und hunderte arbeitslos werden, kein geld mehr verdienen, ihre miete nicht mehr bezahlen können, die ausbildung der kinder nicht mehr gesichert ist etc, etc…
und dieser manager dann noch eine abfindung in millionenhöhe kassiert, dann habe ich volles verständnis für solche reaktionen.

geh dir dochmal die « neue armut » in unseren städten ansehen.

ein beispiel, in duisburg können sich 30% der eltern das frühstück für ihre kinder in kindergärten und schulen nicht mehr leisten.

Es gibt einen Präzedenzfall. 2000 hatten 153 ArbeiterInnen der Fabrik Cellatex bei Givet an der frz-belgischen Grenze damit gedroht ,Schwefelsäure und andere gefährliche Chemikalien in einen Fluß zu schütten.

Hier die Geschichte der Cellatex-Arbeiter (auf Deutsch.)
http://www.wildcat-www.de/zirkular/58/z58cella.htm

Der Regisseur Maurice Faillevic drehte über diese beispielhafte Geschichte einen sehr rührenden Fernsehfilm (Jusqu’au bout= Bis zum Ende.)

Eine kleine Nebenbemerkung:
Der Hang zum « Legalismus » bei vielen Deutschen versetzt mich oft in Erstaunen.
Der alte Marx sagte schon ironisch; « Wenn deutsche Arbeiter z.B einen Bahnhof besetzen, kaufen sie zuerst eine Bahnsteigkarte. »
Und dazu F.J Degenhardt in dem Lied « Nehmen wir mal an! »:
« Generalstreik davon dächte keiner mehr, denn so ein Streik ja verboten wär. »
Natürlich handelt es sich dabei um Erpressung…na, und? Werden die Arbeiter nicht von skrupellosen Industrie- und Finanzhaien überall erpresst? Sind Streiks keine Erpressungsmittel ?

@mislep ; ich freue mich sehr, daß es die Gewerkschaften gibt. Wer sonst könnte die Interessen der Arbeiter verteidigen ? Sicher nicht die sozialistische Partei , die zur Partei der Kleinbürger geworden ist, und sicher auch nicht die KP, die völlig aus der politischen Szene verschwunden ist, geschweige die linksradikalen Parteien , die sich nicht einmal verbünden können.