Champagner und « savoir faire »
Dass es überhaupt den Siegeszug des Automobils geben konnte, ist dem « goldenen Zeitalter », der französischen Belle Époque geschuldet, die durch ihre geistige Offenheit erst einen Wandel möglich gemacht hat. Erstmals in der Geschichte der Menschheit schaut man nicht mehr mit Wehmut zurück, sondern nach vorne, der Fortschrittsgedanke durch Technik fand eine religiöse Komponente. Man genoss die neue Freiheit des Geistes, den Luxus, dem Laster und glaubte nach dem Ende des deutsch-französischen Krieges daran, dass es nie wieder zu Barabarismus kommen würde. Diese Entwicklung ermöglichte, dass Motorsport in der französischen Oberschicht einen Platz fand und Automobilismus als soziale Bewegung erstmals in Frankreich stattfand - nicht in Deutschland, nicht in England, nicht in Italien.
Zu verdanken ist dies unter anderem einem anderen Bild vom Sport:
Anders als in Deutschland oder England war der Sport an sich nämlich eine späte Ideologie, die erst jetzt nach Frankreich drängte, und das in einer ganz eigenen Form. Sport diente jetzt dazu, den Körper zu stählen und so Herr über die Maschinen zu werden.
Nicht Mannschaften oder Leichtathleten wurden die ersten französischen Sportstars, sondern Radrennfahrer oder Flieger wie Louis Blériot, der als der Pionier des Air Racings gilt und zudem als erster den Ärmelkanal im Flugzeug überquerte und die Massen begeisterte. Wo die ausgeklügelten Hochleistungsrennwagen unserer Zeit rasende Zigarettenschachteln sind (bzw. waren, seit dem Tabakwerbeverbot 2006), zierten schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts fliegende Champagnerflaschen den Himmel über französischen Flugplätzen. Champagner, jenes Getränk, das noch heute als Luxus gilt und bei jedem Grand-Prix-Sieg Zeichen des Triumphes wird, begründet seinen Ruhm in der französischen Belle Époque. Das damalige Modegetränk wurde bei Rennen aller Art ausgeschenkt. Wo sich Männer sportlich duellierten und ihre Macht gegenüber den neuen Maschinen demonstrierten, trank das ausnahmslos gutbetuchte Publikum Champagner, das neue Symbol der Jugendlichkeit, des Luxus, des Sieges. Flieger wie Blériot kämpften in Wettbewerben wie dem „Prix Mumm des Aéronautes" oder dem „Prix Pommery du Tour de Piste“. Als Autorennen mehr und mehr in Mode kamen, war es nur natürlich, dem Champagner auch dort einen Platz zu verschaffen. Knallende Korken wurden zur Metapher der Freiheit und des Sieges.
Louis Blériot beim Prix Pommery d.T. des Aéronautes
Quelle: aviation.maison-champagne.com
Außerdem hatte Napoleon dafür gesorgt, dass Frankreich gut ausgebaute Straßen hatte, anders als Deutschland. Der erste Motorsport fand nämlich auf offenen Straßen statt und nicht auf eigens für die Raserei gebauten Rundkursen.
« Savoir faire » statt « laisser faire » oder « savoir vivre » - das zeichnete Frankreich damals aus, während man Gründlichkeit und Cleverness sowie Disziplin und Innovation eher mit dem deutschen Ingeneirustum assoziieren würde. So waren es zwar deutsche Lizenzmotoren von Benz, die die Wagen antrieben, aber die Konstruktionen, wie sie Geschichte schrieben, blühten unter französischem Erfindungsreichtum auf, bis 1914 ist Frankreich der zweitgrößte Produzent von Fahrzeugen in der Welt, 150 Konstrukteure beherbergt das Land, darunter die Brüder Renault, Dion-Bouton, Panhar und Lavassor. Die Pioniere auf Rädern finden in Paris eine optimale Bühne, Französisch wird Motorsportsprache; Bezeichnungen wie „Pneu“, „Chassis“ oder „Grand Prix“ sind bis heute international. 1913 konnte Peugeot das erste Mal die 500 Meilen von Indianapolis gewinnen. Es waren zudem Zeitungen, die als Veranstalter von Autorennen auftraten, dem noch jungen Sport so Aufmerksamkeit verschafften und die zwangsläufig parteiisch für den Motorsport auftraten.