In diesem 2021 erschienenen und mit dem Prix Renaudot ausgezeichneten Roman schildert Amélie Nothomb aus der Perspektive ihres verstorbenen Vaters Patrick wesentliche Etappen aus dessen Lebensgeschichte. Sie setzt ihrem geliebten Vater damit ein kleines literarisches Denkmal und versucht, ihn noch besser zu verstehen und ihm persönlich noch näher zu kommen. Patrick wird in einer von sozialen und persönlichen Gegensätzen zerrissenen Familie geboren, die seine Persönlichkkeitsent-wicklung wesentlich prägen. Nach dem tragischen Unfalltod seines Vaters, den Patricks Mutter nicht verkraftet, wächst er bei seinen Großeltern mütterlicherseits auf, die ihm Geborgenheit und einen gewissen Komfort bieten. Auf Wunsch des nach seiner Mili-tärkarriere pensionierten Großvaters, der eine Verweichlichung seines Enkels befürchtet, verbringt Patrick seine Schulferien in der Großfamilie seines in einem verfallenen Schloss lebenden Großvaters väterlicherseits. Dieser als in der eigenen Familie wenig wertgeschätzte Groß-vater lebt als Dichter oft jenseits der Realität und bietet seinem Enkel nur sehr wenig persönlichen Kontakt. Patrick taucht in eine völlig andere Welt ein, die oft durch Kälte, Rücksichtslosigkeit und Schikanen vor allem durch z. T. gleich-altrige Verwandte geprägt ist. Trotz aller Kritik an dieser zweiten Welt lernt er sie wertzuschätzen und bahnt sich einen Weg zur Selbstverwirklichung auch gegen Wider-stände, z. B. anlässlich seiner Heirat mit Danièle, die nicht vom Großvater väterlicher-seits akzeptiert wird. In seiner beruflichen Karriere als belgischer Diplomat wird er auf lebens-bedrohliche Weise konfrontiert mit dem Bürgerkrieg im Kongo, eine Lebensperiode, die in diesem Buch mit besonders viel Einfühlungsvermögen erfasst wird. Auch wenn der Roman nur einige Lebensabschnitte Patricks erfasst und etwas abrupt endet, gelingt es der Autorin, oft mit humorvollen Passagen und prägnanten Formulierungen, den Leser emotional und rational zu bewegen, indem sie Themen wie Tod und Leid, Erziehungsstile, Schicksalsschläge und das Wesen des Menschen einbezieht und damit den Leser zu weiteren eigenständigen Überlegungen anregt.