« Ein großer Roman über das Leben, den Tod und die Kraft der Literatur » zitiert der Buchdeckel eine Pressestimme. Noch eine: « Dieses Buch ist eine Hommage an die Literatur und an den Buchhändler. », befindet Le Figaro. Und beide lügen. Führen in die Irre. Oder haben das Buch nicht verstanden - und ich weiß nicht, welche der drei Möglichkeiten der Deutung ich schlimmer finde.
Es ist eine simple Geschichte, die dieser 2002 in Frankreich erschienene Roman erzählt: Ein beleibter Buchhändler fährt mit seinem Transporter voller Bücher an einem regnerischen Novembernachmittag ein kleines Mädchen an, das in Panik auf die Straße lief, nachdem seine Mutter es nicht von der Schule abgeholt hat. Was folgt ist ein anscheinend wochenlanges Koma und eine detailgetreue Beobachtung des Autors, wie die beiden unverschuldet Verantwortlichen, der Buchhändler Vollard und die Mutter Thérèse, nicht nur damit umgehen, sondern mit ihrem Leben selber.
Ein Buch über Einsamkeit ist es und ganz und gar nicht über die « Kraft der Literatur ». Die Literatur selber ist hier auch die Einsamkeit, in die/der sich Vollard versenkt seit er ein Kind ist, und auch während er in der Schule gehänselt wird, während im Studium in Paris der revolutionäre Frühling 1968 tobt und während täglich die Nacht hereinbricht über Vollard und ihn schlaflos sein lässt. Man fragt sich, ob es ein Lesen aus Begeisterung ist oder aus Verzweiflung. Aus Langeweile oder Alternativlosigkeit. In einem einzigen Moment glaubt man, die Einsamkeit bräche auf und Worte könnten doch noch heilen: Als das Kind Eva schließlich aus dem Koma erwacht. Doch auch das ist nur einer von vielen Trugschlüssen, die das Leben als Fallen bereithält. Eva bleibt stumm. Ein weiterer Trugschluss ist der, dass Vollard sich von diesen erdrückenden Texten, die er auswendig kennt und die für ihn sprechen, befreien könne, indem er ist wie alle und sich etwa an einem Bungeesprung versucht. Vergebens.
Die Einsamkeit ist eine Krankheit, die nicht immer heilbar ist. Hier erleben wir sie als unheilbar. Sowohl für Vollard als auch für die Kindesmutter Thérèse, die sich Eva nicht gewünscht hat, die sich zwingen muss, mütterlich zu sein, die es als Prüfung sieht und gleichzeitig als Hinderung auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit, die sich so sehr wünscht. Umherfahren in der Gegend, bedeutungslose Gespräche mit Menschen führen und sinnentleerte Sätze aufschreiben als Resultat aus absurden Beobachtungen der Umwelt.
Es ist ein sehr trauriges Buch, das die Protagonisten zu Lesern statt Akteuren ihres eigenen Lebens wie zu Lesern fremder Leben macht, sie einsperrt in Worten und Lebensumständen und schließlich auch im Schweigen. Die zitierte « Kraft der Literatur » kommt hier also gar nicht gut weg, im Gegenteil, sie wirkt zerstörerisch. Wo Worte anderswo heilen können, so scheinen sie hier zu zerstören. Ganz recht, dass Vollard das Ende findet, das er schließlich selber sucht und das hier natürlich nicht verraten werden soll.
Aber ein trauriges Buch ist kein schlechtes. Es ist geradezu magisch geschrieben, mit großem Einfallsreichtum, detailliert und nah und ohne zu erklären. Der Autor kann meisterhaft mit Worten umgehen und hat einen Blick für die Umwelt, die er oft überraschend interpretiert und so ganz neue Perspektiven öffnet. Und er kann ja nichts dafür, wenn sein Buch irgendwie falsch verstanden worden ist. Auch wenn ich dann doch auf ein bisschen mehr Hoffnung gehofft hatte. Stattdessen habe ich Tränen vergossen, an zwei verregneten Nachmittagen.