Modiano wurde 1945 in Boulogne-Billancourt geboren, sein literarischer Lehrmeister war Raymond Queneau, der unter anderem der Autor von Zazie dans le métro war.
Seine Bücher drehen sich oft um die Stadt Paris und um Erinnerungen. Auch die Stadt Nizza spielt eine große Rolle (siehe Links). Seine Protagonisten sind dabei eher Skizzen, dem Leser bleibt viel Raum für Vorstellung. Man erfährt nichts, was nicht mit der Geschichte zu tun hat, das ist sehr interessant zu lesen. So ist auch selten sofort klar, wer der Gute und wer der Böse ist, man lernt sie nur anhand von minimalen Unterscheidungen in eine Kategorie einzuordnen, etwa dem Ton der Stimme, der oft eine besondere Bedeutung hat. Das kann Modiano sehr gut, wohl auch dank Queneau
1978 bekam er den Prix Goncourt für seinen Roman Rue des Boutiques Obscures. Auch in Deutschland erhielt er 2010 einen Preis, den Preis der SWR-Bestenliste, als bisher einziger Franzose.
Eines seiner Bücher ist Ein so junger Hund, das 1993 erschien:
Modiano ist ein Meister darin, seine Figuren nicht wie Helden wirken zu lassen, sondern wie normale Menschen, zu denen man als Erzähler und somit als Leser eine beobachtende Distanz wahrt. Er erzählt auch keine heldenhaften, ausßergewöhnlichen Geschichten, sondern die einfachen Geschichten, die einen Menschen bewegen können, wenn man sie im Alltagsleben nicht übersieht. Hier erzählt er die Geschichte eines Schriftstellers, der in einem Frühling in Paris fast dreißig Jahre zurückdenkt an eine kurze Zeit, in der er den Fotograf Francis Jansen traf. Ein Mann, der ein ungeheures, beiläufiges Talent hat. Er fotografiert einfach, weil er den Blick dafür hat, aber seine eigentliche Zeit als Fotograf sind vorbei und er fotografiert wie einer, den das Leben, den seine Geschichte gezeichnet hat. Einfach so, ohne Begeisterung, mit einem schlunzig behandelten Rest von Könnertum. Seine Werke hat er in großen Koffern gesammelt, einfach reingeworfen, mit einer kurzen Notiz auf den Bildrücken. Der Protagonist nun macht es sich selber zur Arbeit, sie für ihn zu ordnen. Dafür verbringt er Wochen im Atelier des Künstlers, der selbst kaum noch da ist und auf dem Weg ist, Frankreich Richtung Mexiko zu verlassen, weg von seinen Freunden, die zu verlieren er sich bemüht. Dem jungen Schriftsteller trägt er auf, sie am Telefon und an der Tür abzuwimmeln, doch dieser taucht immer weiter in die Geschichte des Fotografen, anhand seiner Fotos und den Teilen seines Lebens, die in der Gegenwart noch bleiben. Beide Geschichten vermischen sich und man fragt sich, ob das nicht wirklich so ist, dass sich Leben durch Details von Geschichten treffen und dann wieder trennen ohne dass man das bewusst wahrnimmt.
Sehr gut gemacht ist, wie sich der eigentliche Held, der keiner ist, Francis Jansen, durch ganz wenige Beobachtungsmomente des Schriftstellers selber charakterisiert. Das hier ist meine Lieblingsstelle:
Dieser Fotograf bleibt aber ein Unbekannter. Wie im echten Leben, in dem man Menschen trifft und deren Spur man verliert, weil Lebenswege sich trennen und sich nur einem einzigen Knoten in einem Erinnerungsnetz je getroffen haben. Und dann wird die Erinnerung ausgelöst, wenn die Frühlinge sich gleichen wie bei Modiano, und sich die Welt anfühlt wie damals.
Es ist ein ganz dünnes Buch mit 103 Seiten und kurzen Kapiteln. Und genau das ist es, was diesen Roman, von dem man bis zum Schluss nicht genau weiß, ob er autobiographisch ist, was man aber stark vermuten mag, so schön macht: Es ist eine Skizze aus Erinnerungen, die mit der Zeit verwischt wurden und wie Fotos nur ein Ausschnitt der Realität sind, die sich selber malen durch das, was sie sind. Ein sehr schönes, tiefsinniges Werk und eine Hymne an die Fotografie.
Für einen Sommertag im Garten, eine kurze fiktive Reise nach Paris und in die unergründliche Welt der Fotografie.