In diesem 2023 erschienenen preisgekrönten dystopischen Roman schildert Lilia Hassaine die Aufklärung des Verschwindens des Schülers Milo und seiner Eltern(Miguel und Rose) im Rahmen des „Zeitalters der Transparenz”, das durch Uniformisierung (gläserne Häuser) geprägt ist. In dieser von ihren Befürwortern als harmonisch und friedvoll gerühmten neuen Welt kontrollieren sich die Menschen wechselseitig, sodass Kriminalität und fragwürdiges soziales Verhalten ausgeschlossen werden sollen. Eine durch soziale Medien geprägte und gegen etablierte demokratische Instanzen und Prak-tiken gerichtete Revolution in Verbindung mit einer Welle von Selbstjustiz führt zu einer neuen Ordnung des Zusammenlebens, die durch den Ersatz der traditionellen parlamen-tarischen Demokratie durch digitale und oft dezentrale Volksabstimmungen über Ge-setze und Gerichtsverfahren geprägt ist. Schnelle Entscheidungen, ein scheinbar per-fektes Überwachungssystem, die Herabsetzung der Strafmündigkeit auf 7 Jahre, Fehl-urteile und eine Aushöhlung der Identität vieler Menschen sind die Folge, wobei vor allem einige kriminelle Jugendliche(Salomé u.a.) und ebenso kriminelle politische Auto-ritäten vieles manipulieren. Im Kern geht es in diesem Roman auch um das Schicksal des Mobbingopfers Milo, der eine bösartige von diesem System begünstigte Intrige nur mit viel Glück und dank der beharrlichen Aktivitäten der Polizistin Hélène (agent de protection), die den Fall aufklärt, überlebt. Aber auch die von den Schuldigen erpresste Hélène kann nicht verhindern, dass diese Gesellschaftsform weiter existiert. Mit diesem gesellschaftskritischen Roman bezieht sich die Autorin auch auf fragwürdige Entwicklungen in unserer Zeit (Mobbing, Selbstjustiz, Exzesse in sozialen Medien, Intole-ranz, Konformismus trotz Individualisierung, Abwertung traditioneller demokratischer Systeme). Hervorzuheben sind die prägnanten zusammenfassenden Wertungen und ein gewisses Maß an Spannung, die deutlich machen, dass die Autorin dieses scheinbar pessimistischen Romans vor einer solchen Gesellschaft warnen will und somit die Hoffnung auf eine bessere alternative Entwicklung noch nicht aufgibt, zumal es auch in der von ihr beschriebenen Gesellschaft oppositionelle Kräfte gibt. Der ansonsten recht einfache Stil ist wohl so gewollt und passt durchaus zu der rigorosen Ausrichtung dieser Vision einer zukünftigen Gesellschaft. Insgesamt gesehen ist dieser Roman lesenswert, gerade und auch weil er viele Fehlentwicklungen unserer Zeit aufgreift.