Miroir de nos peines Pierre Lemaître

In diesem 2020 erschienenen Roman, der Teil einer auch die Folgen des Ersten Weltkriegs umfassenden Trilogie ist, schildert Pierre Lemaître die Anfänge des Zweiten Weltkriegs in Verbindung mit persönlichen Schicksalen und vor allem familiären Proble-men. Im Zentrum des Romans stehen der unehelich geborene Soldat Raoul Landrade, dessen leiblicher Vater (der verheiratete Arzt Thirion), dessen Geliebte und ehemalige Haushälterin, die ehelich geborene Halbschwester Raouls (Louise), der Soldat und Mathematiklehrer Gabriel sowie der humanitär geprägte Lebenskünstler und Hochstapler Désiré Migault, die in dem sich abzeichnenden Chaos der politisch-militärischen Ereig-nisse leiden und sich persönlich weiter entwickeln, wobei die eher positiven Hauptfiguren schließlich sich einem relativen Happy-End nähern. Ein Schwerpunkt des Romans ist sicherlich die emotionale Analyse des Schicksals eines uneheliches Kinder und seiner Eltern. Der zweite Schwerpunkt des Romans liegt aber auf der oft sehr differenzierten Erfassung des Debakels der französischen Niederlage 1940, wobei der Autor klar auf Fehlentwicklungen im Militärwesen und in der politischen Welt hinweist. Der zunächst etwas unrealistisch erscheinende Bezug auf einen von französischen Wachsoldaten z. T. grausam misshandelten flüchtenden Zug von militärischen Sträflingen beruht tatsäch-lich auf einer historischen Grundlage. Beeindruckend ist auch die Darstellung mensch-licher Schwächen und Stärken der leidenden Bevölkerung.
Diese Mischung aus Komik, ernsthafter Analyse politischer und psychologischer bzw. familiärer Probleme, die nicht einem klassischen historischen Roman entspricht und stellenweise burleske an Irrealität grenzende Elemente umfasst, ist dennoch historisch und psychologisch interessant und höchst unterhaltsam, zumal der Roman auch den Leser immer wieder zum Nachdenken anregt.