In diesem 2014 erschienenen autobiographischen Roman analysiert Annie Ernaux die Situation einer Studentin, die 1963 illegal den Abbruch ihrer ungewollten Schwangerschaft vor-nimmt. Man muss diesen Roman auch als einen historischen Roman verstehen, weil er die Not von ungewollt schwangeren Frauen in einer Zeit der Strafbarkeit des Schwangerschaftsab-bruchs sehr deutlich macht. Isolierung, Verachtung und Verur-teilung, Gleichgültigkeit, Verdrängung und Profitgier, Angst, Doppelmoral und Heuchelei, aber auch Verständnis und Faszination, all dies sind typische Reaktionen der Gesellschaft, die Annie Ernaux auch gut erfasst. Die innere Zerrissenheit der Autorin, die trotz aller Schwierigkeiten und trotz ihres krampfhaf-ten Bemühens um Geheimhaltung ihrer Schwangerschaft und ihres Schwangerschaftsabbruchs konsequent ihren Schwanger-schaftsabbruch durchsetzt, wird ebenfalls deutlich erkennbar. Für sie ist der gewollte Schwangerschaftsabbruch ein den Frauen 1963 noch vorenthaltenes Recht, eine Situation, gegen die sie mit diesem Buch protestiert. Damit will sie auch den in Not gera-tenen Frauen vor allem aus nichtbürgerlichen Schichten ein Denkmal setzen, weil sie sehr klar herausarbeitet, dass gerade diese Frauen benachteiligt waren. Dennoch leidet Annie Ernaux an diesem persönlichen Ereignis auch langfristig und kann bzw. will die damit verbundenen existentiellen Fragen auch mit Bezug auf ungeborenes Leben nicht verdrängen. Der Stil dieses Romans ist relativ einfach, aber oft beeindruckt die Autorin den Leser mit sehr prägnanten Formulierungen. Auch wenn man nicht alle Meinungen und Gefühle der Autorin teilt, bleibt festzuhalten, dass dieser oft einfühlsame Roman eine sinnvolle Anregung zum Nachdenken über die Problematik des ungewollten Schwangerschaftsabbruchs sein kann.