Dieser 2021 erschienene historische Kriminalroman von Jean-Christophe Grangé ist nicht nur ein sehr spannender Roman mit vielen überraschenden Wendepunkten, sondern auch eine eindrucksvolle literarische Verarbeitung vieler wesentlicher historisch-psychologischer Aspekte des Dritten Reichs. Im Zentrum der Handlung stehen die Psychiater Simon Kraus, und Miriam von Hassel, Franz Beewen als hochrangiger Angehöriger der Gestapo, der NS-Genetiker und Arzt Mengerhäusen sowie einige wohlhabende Frauen von prominenten Nationalsozialisten aus dem Großbürgertum und dem Adel. Der Psychiater und leiden-schaftliche Traumforscher Simon Kraus steht dem Nationalsozialismus zwar kritisch gegen-über, profitiert aber als Erpresser seiner reichen Patientinnen und als Gigolo von diesem politischen System, das ihm trotz seiner ideologisch bedingten Nischenexistenz als Psychiater lange ein Luxusleben sichert. Die aus einer reichen adligen Familie stammende Psychia-terin Minna von Hassel arrangiert sich als Leiterin eines noch geduldeten Heims für psy-chisch gestörte Menschen ebenfalls mit dem NS-Regime; trotz ihrer Ablehnung des Natio-nalsozialismus führt sie medizinische Experimente mit ihren Patienten durch in der Hoff-nung, ihnen langfristig helfen zu können. Der aus einfachen sozialen Verhält-nissen stammende Franz Beewen sieht als ansatzweise kritisch eingestellter Nationalsozialist in seinen Gestapo-Aktivitäten und in seinem späteren Leben als Offizier im II. Weltkrieg die Chance einer Kompensation für seine problematische Vergangenheit und einer Rache für seinen im Ersten Weltkrieg schwer verletzten Vater ; Beewens einst gewalttätiger Vater ist ein psychisch schwer erkrankter Insasse des Heims von Minna von Has-sel, die gemeinsam mit Simon Kraus und Franz Beewen versucht, die brutalen Serienmorde an reichen Frauen von prominenten Nationalsozialisten aufzuklären. Erst während des Zweiten Weltkriegs gelingt eine weitgehende Aufklärung der Morde auf dem Hintergrund der rassenideologisch moti-vierten grausamen Experimente des NS-Genetikers und Arztes Mengerhäusen. Die Frauenmorde erweisen sich als gezielte Racheaktion, die sich gegen überzeugte Nationalsozialisten richten. Minna von Hassel, Simon Kraus und Franz von Beewen sind komplexe Persönlichkeiten, die sich als Opfer und Täter ständig psychologisch und politisch weiterentwickeln und schließlich zu verzweifelt agierenden Gegnern des Nationalsozialismus werden. Das Ende(Befreiung und Flucht mit in Osteuropa medizinischen Experimenten ausgesetzten Kindern) bleibt offen. Die biologisch-körperliche Einbeziehung Hitlers und seiner wichtigsten Helfer in eine Haupthandlung des Romans ist zwar historisch abwegig und manche nicht unwichtige Aspekte des Dritten Reiches werden nur sehr knapp gestreift bzw. nicht erfasst, aber dieser Roman ist dennoch vor allem eine ergreifend kritische Darstellung der NS-Ideologie und ihrer rassenideologischen Konsequenzen, des Selbstverständnisses überzeugter National-sozialisten und vieler wesentlicher Aspekte des Alltagslebens im Dritten Reich.