Dieser 2013 erschienen autobiographische Roman der diesjährigen Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux ist eine sehr einfühlsame Darstellung ihrer eigenen Familiengeschichte. Generationskonflikte, die Stadt-Land-Problematik, die Relevanz von Dialekten und damit verbundene Sozialisationsaspekte werden in einer einfachen, aber ausdrucksstarken Sprache gut erfasst, wobei deutlich wird, wie die Autorin sich als intellektuell orientierte Person vom kleinbürgerlichen Eltern-haus trotz aller emotionalen Verbundenheit allmählich emanzipiert und distanziert. Ihr fürsorglicher Vater erscheint als fleißiger und auf einen sozialen Aufstieg konzentrierter ehemaliger Bauer und Arbeiter, der schließlich mit einem Café und Lebensmittelladen ein materiell besseres Leben erreicht, ohne trotz aller An-sätze ein differenziertes und sichtbares Gefühlsleben oder geistige Interessen zu entwickeln. Diese Entwicklung und die damit verbundene Distanzierung empfindet die Autorin als tragisch und bemüht sich dennoch um eine persönliche Annäherung vor allem an ihren Vater, der sich trotz allem über den Erfolg seiner Tochter in einer anderen Welt freut, auch wenn er zu dieser Welt keinen echten Zugang finden kann oder will. Wer in einem kleinen Dorf in kleinbürgerlichen Verhältnissen und in einem dialektgeprägten Umfeld aufgewachsen ist und später im städtischen Milieu lebt, wird sehr viele Aspekte dieses Romans als realistisch bestätigen können. Insgesamt ist dieser Roman eine gelungene Darstellung einer Familiengeschichte, die zum Nachdenken auch über die eigene Identität anregt.