Mit diesem 2021 erschienenen Buch gibt der Theologe und ehemalige Erzbischof Gérard Defois einen analytischen Überblick über die komplexen Beziehungen zwischen Staat und Religion in mehr als 2000 Jahren in Europa und Palästina. Er behandelt viele wichtige Themen (frühes Christentum, römische Staatsreligion, Christenverfolgungen, Investiturstreit, Reformation, Gallikanismus, Französische Revolution, die Entwicklung der französischen Tradition des Laizismus) mit Bezug auf eindeutige Quellenangaben und Zitate, obwohl leider ein Literaturverzeichnis im Anhang fehlt. Dabei ist es ihm ein besonderes Anliegen, auf aktuelle politisch-religiöse Themen einzugehen (z. B. Entwicklung und Kontrolle des Islam in Frankreich). Der Autor plädiert für einen offenen und konstruktiven Dialog zwischen religiösen und staatlichen Instanzen, die sich mehr respektieren und ein besseres Ver-ständnis füreinander entwickeln sollten. Dabei wird deutlich, dass er die z. T. repressive Politik gegen von ihm durchaus verurteilte radikale For-men des Islam und die allgemeinen Vorbehalte gegen den Islam als ein Zeichen für die vor allem auf staatlicher Seite fehlende Bereitschaft zu einer intensiveren Kommunikation einschätzt. Diese mangelhafte Kommunikation zwischen religiösen und staatlichen Instanzen ist aus Sicht des Autors eine der wesentlichen Ursachen für eine Radikalisierung religiöser Ausdrucksformen nicht nur mit Bezug auf den Islam. Gérard Defois setzt sich damit ein für eine liberalere Form des Laizismus, die nicht auf Verbote setzt, sondern eher auf intensive Kommunikation und Integration zum beider-seitigen Nutzen. Das Buch ist in vielen Passagen sehr differenziert, enthält aber trotz seiner chronologischen Struktur leider auch etliche Weitschweifigkeiten, Wieder-holungen und manchmal etwas verwirrende Zeitensprünge bzw. Vergleiche zwischen verschiedenen historischen Ereignissen. Vom Leser erfordert es ein hohes Maß an Konzentration. Angesichts des großen historischen Zeitraums, mit dem sich der Autor befasst, ist es zwar auf den ersten Blick nach-vollziehbar, dass er nicht alle wichtigen Themen angemessen einbezieht, aber es stört doch, dass einige wichtige Themen kaum oder gar nicht be-rücksichtigt werden (z. B. die Rolle von Bischof Fénelon als Absolutismuskritiker, die Aufnahme französischer Hugenotten in anderen Teilen Europas, Hexenwahn und Inquisition, Katharer in Frankreich, Kreuzzüge). Manche historischen Werturteile des Autors sind undifferenziert und fehlerhaft. Die Rolle der Kirchen während des Nationalsozialismus wird zu knapp gestreift. Die Meinung, Hitler sei auf legale und demokratische Weise an die Macht gekommen, ist nicht nur fehlerhaft, sondern wird mehrfach wiederholt. Insgesamt gesehen ist das Buch trotz seiner Schwächen dennoch lesenswert, weil es aktuelle politisch-religiöse Kontroversen mit einer oft gründlichen Analyse der historischen Entwicklung der Beziehungen zwischen Staat, Gesellschaft und Religion verbindet.