In diesem Roman, der den Zeitraum 1928 – 1936 umfasst, schildert Pierre Lemaître nicht nur die Geschichte eines Rachfeldzugs der betrogenen und verarmten Tochter eines vermögenden Bankiers, sondern bietet auch eine oft differenzierte Analyse ausgewählter historischer Aspekte. Die von ihrem kriminellen Ehemann geschiedene Madeleine Péricourt erbt zwar das Vermögen ihres Vaters Marcel, steht aber nach der tragischen Lähmung ihres sechsjährigen Sohnes Paul zunächst weitgehend hilflos vor einem Berg von Problemen, den sie angesichts ihrer Naivität und ihrer Konzentration auf die Betreu-ung ihres behinderten Sohns lange Zeit nicht bewältigen kann. Der betrügerische Geschäftsführer der Bank (Gustave Joubert), ihr Onkel, der korrupte Abgeordnete Charles Péricourt, der ihren Sohn heimlich massiv behandelnde Erzieher André, ihre Hausdame und scheinbare Freundin Léonce und viele andere Personen tragen alle auf ihre Weise zum Ruin der Erbin des Bankiers Marcel Péricourt bei. Die relativ häufigen sexuellen Eskapaden vieler Hauptpersonen, inklusive Madeleine Péricourt, passen weitgehend zum Bild einer korrupten Gesellschaft, in der nur wenige Personen unschul-dig sind. Die schließlich auch zu kriminellen Methoden greifende Hauptperson Madeleine Péricourt schließt ihren Rachfeldzug auch mit etlichen berechtigten Gewissensbissen ab. Ihr behinderter Sohn Paul schafft es als Erwachsener eine erfolgreiches Kosmetik-unternehmen zu gründen. Alle Hauptschuldigen werden irgendwie bestraft. Typisch für den Stil des Autors ist auch in diesem Roman die konsequente raffinierte Mischung aus Komik, Humor und ernsthaften Themen, eine Mischung, die vielleicht nicht jedermanns Sache ist, aber doch den Spannungsgehalt und das Vergnügen des Lesers steigert und ihn ständig zum Nachdenken über die vielen angesprochenen psychologischen, sozia-len und politisch-historischen Themen anregt. Faschismus und Nationalsozialismus und die Krise der Demokratie auch im Frankreich der 30-er Jahre werden auch unter Einbe-ziehung krasser sozialer Probleme herausgearbeitet. Der Starkult um die italo-franzö-siche Operndiva Solange, die Paul abgöttisch verehrt, führt Paul zu einem Opernkonzert in das Berlin von 1933.Diese von den NS-Machthabern als Propagandashow geplante Aktion wird von Paul und Solange zu einem eindrucksvollen Protest gegen das NS-Regime umgestaltet, für mich eine der stärksten Szenen des Romans. Insgesamt ist dieser Roman, der in mancher Hinsicht dem Roman „Le comte de Monte-Christo” von A. Dumas ähnelt, vor allem wegen seiner vielen komischen Elemente und seiner prägnanten historischen Bezüge trotz einiger Schwächen sehr lesenswert, zumal er auch einige heute noch aktuelle Problem anspricht.