Das Jahresende dient ja bekanntlich neben der Vorausplanung (der guten Vorsätze für das kommende Jahr - oder für die ersten fünf Tage - ) auch der Rückschau auf das vergangene Jahr. Bei beiden Blicken, vor und zurück, ist meistens der Urlaub das Thema. Bei mir ist es gerade neblig trüb und gleich Minuten stockdunkel, vom Licht der Adventskerzen abgesehen. Da denke ich gerne zurück an diesen Sommer, der uns zwar in Deutschland tolle Temperaturen bescherte, aber die Sehnsucht nach Frankreich nicht kleiner werden ließ. Dieses Jahr habe ich die Côte Vermeille ganz im Süden erkundet und euch ein paar Eindrücke mitgebracht, die ich gerne teile.
Das wohl bekannteste Dorf ist Collioure, eines der „Lichtdörfer“ Frankreichs, das einst von Künstlern wegen seines besonderen Lichts entdeckt wurde. Und was soll ich sagen? Es stimmt. Das Licht des frühen Abends Ende August zeigte sich und gegenüber in genau der Pracht, die es schon für Matisse entfaltet hat. Nur die charakteristischen, bunten Boote der katalanischen Fischer dienen heute eher dem Schmuck und gehen im Touristenstrom unter. Sicher büßt Collioure einiges von seinem Charme ein, wenn sich die Menschenmassen durch die Gassen schieben.
Aber am Ende sind auch die, die sich darüber beschweren, Gäste in dem Dörfchen und tragen zur Masse bei, nicht wahr? Der Zauber Collioures ist nur ein wenig weniger offensichtlich geworden, doch so macht es umso mehr Spaß, sich den Blick hinter die Fassade vorzustellen und jene Ecken zu entdecken, die dem Auge des Sommerbesuchers entgehen. Schon ein paar Schritte hinter der Fußgängerzone findet man jene blumenbewachsenen, bunten Häuser, die Katzen, die sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, und die Roller, die unter einer Garage aus Efeu parken.
Collioure lebte einst vom Sardinenfang. Das Salz dafür kam aus Aigues Mortes. Heute werden die Büchsen in den zahlreichen Souvenirläden verkauft, doch leben tut das Dorf vom Tourismus.
Als wir an einem Abend zurück zum Parkplatz gehen, nehmen wir den Weg durch ein im Sommer ausgetrocknetes Flussbett, in dem uns plötzlich eine Handvoll Esel und Maultiere begegnen. Wo das Gras an der doch eher kargen Küste knapp ist, schmeckt es hier umso besser.
Nicht ohne Grund wird Collioure als das schönste Dorf der Côte Vermeille bezeichnet. Wo an der Côte d‘Azur auf der anderen Seite des französischen Mittelmeers jeder Ort bis auf den letzten Stein herausgeputzt ist, trifft das hier nur auf Collioure zu. Die anderen Orte sind zwar auf Tourismus eingerichtet, ihnen fehlt jedoch bisweilen das Bewusstsein für ihre Reize. So ist Port-Vendres, nur ein Steinwurf von Collioure entfernt, zwar mit einem wunderschönen Naturhaften und einer bezaubernden Hanglage der Altstadt zwischen Meer und Weinbergen gesegnet. Doch nimmt man hier den Verfall bereitwillig hin, schottet Aussichtspunkte ab und leistet es sich, den Unterhaltungs- und Restaurantbetrieb ganz auf die Häuserzeile rund um den Hafen zu begrenzen. Man merkt, dass es sich um eine gewöhnliche Stadt handelt, in der Menschen leben, mal mehr, mal weniger gut. Man muss das mögen. Den Fischerhafen, der seinen Charme nur dem geübten Auge zeigt. Das sich mit Fischsorten auskennt und weiß, wann der Fischer des Vertrauens rausfährt und zurückkommt, um seinen Fang den dort Wartenden anzubieten.
Wir hatten das Glück, eine Wohnung mit erstklassiger Sicht auf den Hafen ergattert zu haben und es war fantastisch, das Treiben dort unten zu beobachten. In Port-Vendres spielt sich das ganze Dorfleben um den Hafen herum ab. Die Kirche ist verschlossen und nur für besondere Ereignisse in der Gemeinde geöffnet. Wir haben aus der Ferne zwei Beerdigungsprozessionen erlebt, die beinahe italienisch anmuteten. Getragenes Schlagen der Glocke, langsame Schritte hinter dem Leichenwagen. Ein trauriges Grüppchen am Ende eines Lebens. Die Sonne passt hier nicht herein und ist doch Teil von allem.
1944 erlebte Port-Vendres seine dunkelste Stunde. Als die Nationalsozialisten vor den vorrückenden Alliierten flüchteten, sprengten sie den Hafen in die Luft, immerhin den bedeutendsten an der Küste bis hoch nach Sète. Zum 74. Jahrestage legte die Bürgermeisterin einen Strauß an der Gedenkstelle unterhalb des Dorfplatzes nieder.
Berühmt für seinen süßen Wein ist Banyuls. Wenn man so durch die Berge an der Küste kurvt, mag man das fast nicht glauben, denn die Reben sind winzig, genau wie seine Trauben. Manche Weinberge sehen wie verlassen aus, doch kann man sicher sein, dass Anfang September genau dort Betriebsamkeit herrscht und fleißige Hände nach den Trauben greifen.
Banyuls ist ein gewachsener Touristenort mit einer charmanten Landschaft und Trubel am Yachthafen. Man kann gut schlendern, benötigt für die Altstadt mit ihren zahlreichen Treppen jedoch eine gute Kondition. Der Tramontane, ein heftiger Landwind, der hier mehr als die Hälfte des Jahres über zu spüren ist, ist auch im Sommer ein häufiger Gast. 2018 sorgte er für ein bisschen Erfrischung, jedoch auch für Enttäuschung: Wenn ein Feuerwerk angekündigt ist, handelt es sich um eine unverbindliche Empfehlung. Tramontane – kein Feuerwerk. Wir saßen eine Stunde umsonst an der Promenade, bis uns der Wind auffiel. Nach einer Zeit merkt man ihn nur noch, wenn man an ihn denkt oder einem abgerissene Palmwedel entgegenfliegen.
Ein schönes Fleckchen Küste, das so ganz anders ist als der mit breiten Sandstränden gesegnete Rest der Küste des Languedoc-Roussillon. Mit eigenem, katalanischen Flair und der festen Absicht, Besucher wieder und wieder anzuziehen und nichts anders machen zu lassen als beim ersten Besuch: Flanieren, baden, genießen, und auf jeden Fall nächstes Mal an das Rennrad zu denken.