Claudie Gallay

Viel weiß man nicht über Claudie Gallay, außer dass sie 54 Jahre alt ist und nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Teilzeit-Lehrerin. Das sagt Wikipedia. Interessanter als sie selbst ist da ihr Werk. Seit 2001 hat sie neun Romane verfasst, von denen einige preisgekrönt sind und auch ins Deutsche übersetzt wurden.

Am bekanntesten und von den Juries Frankreichs am meisten mit Preisen bedacht wurde ihr 2008er Werk Les Déferlants/Die Brandungswelle.. Darin geht es um ein Bootsunglück an der normannischen Küste von La Hague, das der Sohn der dort ums Leben Gekommenen vierzig Jahre später aufklären will und dabei das Schweigen der Dorfbewohner knacken muss.

Auch preisgekrönt ist ihr Roman Seul Venise/ Ein Winter in Venedig: Nach einer enttäuschten Liebe flieht die Erzählerin ins winterliche Venedig und sucht Heilung im Flanieren durch die Stadt. Gesellschaft leisten ihr die Bewohner der Pension, die auch jeweils ihr eigenes Päckchen an Seelenkummer mit in die Stadt gebracht haben.

Ich habe Claudie Gallay hingegen durch L’amour est une île /Die Liebe ist eine Insel entdeckt und ich wünschte, ich hätte mir eins ihr anderen Werke ausgesucht. Würde ich nicht jetzt die positiven Kritiken über ihr weiteres Werk lesen, so würde ich sicher hier keinen Thread für sie eröffnen. Mir ist mit dem Buch etwas passiert, was mir bisher mit keinem anderen Roman wiederfahren ist: Ich fand es schlecht aber ich möchte mehr von der Autorin lesen. Warum? Der Schreibstil hat was, wenn er nicht übertrieben wird. Und vor allem mag ich den Ansatz, eine Geschichte langsam zu entblättern und das Seelenleben von Menschen aufzudecken. Der dritte Grund ist, dass man schon allein durch das Lesen der Settings ihrer Werke sehen kann, dass Orte und ihre jeweiligen Besonderheiten eine Rolle spielen. Es geht also nicht nur um eine Geschichte, sondern auch darum, einen Ort in Worte zu gießen und seine Charakteristika herauszustellen. Jeder kennt Venedig und Avignon oder hat ein Bild von der rauen Küste des Nordens, aber sie wirken anders, wenn ein französischer Schriftsteller sie beobachtet und beschreibt. Das würde ich gerne weiter erkunden und daher würde ich trotz meiner eher negaitven ersten Leseerfahrung mit dieser Autorin eine Leseempfehlung für ihr weiteres Werk ausgeben. Außerdem ist vieles ja auch Geschmackssache… Falls einer von euch eines der anderen Bücher gelesen hat, wäre ich gespannt auf Erfahrungsberichte.

Hier mein Verriss :mrgreen:

Die Liebe ist eine Insel

Eine berühmte und geheimnisvolle Theaterschauspielerin kehrt in ihre Heimat zurück, nach Avignon. Es ist Sommer und die Stadt lebt ihr Theaterfestival, diesmal allerdings Form eines Streiks. Dabei wird Mathilde von ihrer Vergangenheit eingeholt, um die sich das Geheimnis eines von ihr verfassten Stückes rankt. Mitten drin ist ihr ehemaliger Liebhaber und Theaterbesitzer Odon Schnadel (was für ein Name…) und die Schwester eines jungen aber toten Autors, dessen Stück diesen Sommer in Odons Theater aufgeführt werden soll. So in etwa kann man die Rahmenhandlung des Buches beschreiben, doch die tatsächliche ist komplexer und das Entfalten dieser ist der eigentliche Inhalt des Buches.

Auf 411 langen Seiten schält Claudie Gallay das Geheimnis des Stücks „Anamorphose“ eines jungen Autors aus ihren Worten heraus, die kaum mehr sind als Parataxe, dahingeworfen in der Absicht zu provozieren. Das soll aber nicht nur der Stil und die damit einhergehende Kühle, sondern auch die Personen, die kaum mehr sind als grobe Zeichnungen und den Leser ein ums andere Mal auch ratlos zurücklassen ob der Absurdität mancher ihrer Handlungen.

Die eigentlichen Protagonisten sind nicht das einstige Paar Odon und Mathilde, der Theaterbesitzer und die Diva, sondern Marie. Die Schwester des toten Autors, die hier nach Rache sucht, da sie Odon für schuldig an seinem Tod befindet, wo er sich doch zu spät bei ihm gemeldet hatte, nachdem er ihm unverlangt seinen Text zugeschickt hatte. Das ist bereits absurd und unglaubwürdig und auch ebenso dargestellt. Die Selbstzerstörung Maries ist es aber schließlich, die dem Text den Rest gibt und der interessanten Idee der Rahmenhandlung den Garaus macht.

Träge ziehen sich die Seiten hin und statt Spannung aufzubauen, ermüden die kurzen Sätze und Kapitel, von denen die meisten die Handlung nicht voranbringen, sondern bremsen. Eine Novelle hätte es auch getan. Gegen Ende wagt die Autorin dann gleich zwei kleine Schocker und in der Tat rufen sie im Leser den wohl gewünschten Ekel hervor. Glaubwürdig oder besonders kreativ oder auch nur zumindest sprachlich ausgefeilt sind sie aber nicht. So bleibt dieser Roman unausgegoren und damit eine ziemliche Enttäuschung. „Poetisch, spannend und durch und durch sinnlich“ wie der Teaser auf dem Deckel verspricht, ist hieran gar nichts.

Bis heute habe ich nichts von dieser französischen Schriftstellerin gelesen. .Auch wenn ich derzeit keine neue Lektüre suche, hat deine Rezension
meine Neugier geweckt. Nicht nur weil ich Avignon fast als meine Heimatstadt betrachten kann, aber auch weil ich zum ersten Mal das Theaterfestspiel von Avignon letzten Sommer besuchte. Überdies sind wir die Schriftstellerin und ich fast gleichaltrig. Ich hätte es interessant gefunden, meine Erinnerung mit dieser der Hautfigur dieses Romans zu vergleichen.
Klar dass das Buch dir nicht gefallen hat…
Ich bin jedoch ein bisschen darüber überrascht , dass deine Meinung diametralem Gegensatz zu dieser von einiger französischen Leserinnen steht. Ehrlich gesagt, ich hätte es bedauerlich gefunden, dass in dieser von dir geöffneten Rubrik, nur ein Verriss dieses Buches gibt . Deshalb füge ich
auch eine positive Rezension be. Leider auf Französisch geschrieben
http://legrenierdechoco.over-blog.com/article-l-amour-est-une-ile-claudie-gallay-65622068.htmlt
Übrigens, stelle ich mich diese Frage, ist das Buch wirklich so enttäuschend oder ist die deutsche Wiedergabe, die nicht zu dieser Geschichte passt?

Nein, ich habe nicht den Eindruck, dass es ein Problem der Übersetzung ist. Es geht eher um die Komposition der Szenen und manche Ideen, die mir zu gewollt und zu absurd sind. Wenn du das Buch doch nicht lesen möchtest, verrate ich hier eine.
Der Schreibstil ist sehr kühl und hat mich an Anna Gavaldas Kurzgeschichten erinnert. Nur leider nicht so gut wie sie.

Dass mir das Buch nicht so gefallen hat, hat gar nichts mit dem Alter der Autorin zu tun. Sie gibt hier auch in keinster Weise die Geschichte einer Gleichaltrigen wieder, sondern im Gegenteil die einer jungen Erwachsenen auf den Spuren der Hinterlassenschaft ihres Bruders. Und das ließ mich zweifeln, ich fand ihre Darstellung dieser Person Marie nicht sehr authentisch.

Aber wie gesagt: Ich würde sehr gerne die beiden anderen Bücher lesen, Die Brandungswelle und Ein Winter in Venedig, denn ich denke dass da schon Potential schlummert. Vielleicht ist Die Liebe ist eine Insel wie „Yellow Submarine“ für die Beatles. Ein kleiner Qualitäts-Durchhänger. :wink:

Wie ich es dir gesagt hatte. Das Buch habe ich nicht gelesen und ich denke nicht, ich werde es lesen. Aber der Handlungsort des Romans ist mir gefallen, deshalb habe ich dank deiner Rezension einige Recherchen über den Roman und die Autorin gemacht. Nach dem Lesen der Rezensionen hatte ich auf ersten Blick gedacht, dass der Roman verschiedene Geschichte erzählt hätte, unter anderem diese von Mathide und Odon. Vielleicht beschreibt Claudie Gallay besser die Hauptfiguren im gleichen Alter wie sie :wink: . In ihrem anderen Roman, "Die Brandungswelle"sei die Hauptfigur, eine Frau mittleren Alters.

Dann verrate ich, womit die Autorin denkt am meisten zu provozieren (ich verrate dadurch nicht den Ausgang der Geschichte, falls doch jemand den Roman lesen möchte): Marie isst die Asche ihres Bruders. :bomb:

Jedenfalls wäre es meinetwegen kein Problem. Auch wenn ich das Ende eines Romans kenne, Ist meine Lust am Lesen deswegen nicht verdorben. Jedoch ist dies sehr entsetzlich…Denkst du, solches Ende sei schriftstellerisch unvermeidlich ??? Deiner sehr entwickelten Rezension nach, glaube ich nicht, du seist dieser Meinung…

Das war ja nicht das Ende, sondern nur eine Szene relativ am Ende. Ich denke die Autorin wollte etwas sehr Dramatisches schreiben nach der Ruhe das ganze Buch über und es kam dann auch sehr unerwartet, so etwas. Aber ich empfinde es als leicht, aus heiterem Himmel eine solch dramatische Szene zu schreiben, die mit allem Vorherhigen bricht und auch ziemlich eklig ist. Die Schwierigkeit besteht darin, sowas glaubwürdig zu machen und irgendwie konsequent. Die Konsequenz habe ich da nicht gesehen. Ich hatte eher das Gefühl, dass Gallay nach 200 Seiten selber auffiel, dass ihr Buch bisher lahm war und sie dann etwas Dramatisches machen wollte. :laughing: