Am 17.Oktober 1961 erlebten algerische Demonstranten in Paris einen Polizeieinsatz von einer Brutalität, die kaum vorstellbar ist. Noch heute, wo sich jene Ereignisse zum 50. mal jähren werden, wird in Frankreich gerne der Mantel des Schweigens über ein Massaker gelegt, das wahrscheinlich über 200 Algeriern das Leben gekostet hat.
1961 befindet sich Frankreich mitten im Algerienkrieg. Am 17.10.1961 schlossen sich 30.000 Algerier und Anhänger der algerischen FLN, Front de Libération Nationale, in Paris zusammen, um friedlich zu demonstrieren. Doch die Antwort des Staates kam prompt: In einem massiven Polizeieinsatz wurde die Demonstration niedergeschlagen und Medien an der Berichterstattung gehindert. In den Zeitungen erscheint lediglich eine kurze, offizielle Meldung: Etwa drei Tote soll es gegeben haben, davon ein Europäer. Es gibt fast keine Fotografien, keine Filmaufnahmen. Einer These zufolge, die einige Journalisten und Historiker vertreten, habe es jedoch Aufnahmen und Recherchen des belgischen RTBF gegeben und 1962 gar einen Film, der das Leben der Algerier in Paris behandelte, doch die Aufnahmen verschwanden unter mysteriösen Umständen…
Der Chef der Pariser Polizei zu jener Zeit war Maurice Papon, der noch bis in die 90er Jahre hinein Staatsämter bekleidete, als Abgeordneter und Haushaltsminister unter V. Giscard d’Estaing. Papon, der zur Zeit der Kollaboration die französischen Vernichtungstransporte in das Lager Drancy organisierte. Erst in den 80ern beginnt man in Frankreich unter Mediendruck, nicht nur Papons Geschichte aufzuarbeiten, der schließlich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wird - 1998. Zu jener Zeit korrigiert die französische Regierung auch die offizielle Zahl der Opfer vom 17.Oktober 1961 auf 40 hoch. Doch Berichte und vor allem Funde sprechen eine andere Sprache: Demnach hätten die Polizisten tote oder bewusstlos geschlagene Demonstranten in die Seine geworfen - 200 Leichen und später Skelette seien auf dem Boden des Flusses gefunden worden. Belangt werden kann keiner für das Verbrechen , es fällt unter Kriegsrecht.
30 Jahre lang sprach niemand über die Ereignisse an der Metro-Station. Eine Zeit, in der es vor allem die Kunst war, die sich dieses Themas annahm. Der Journalist und Krimiautor Didier Daeninckx schrieb 1984 den lesenswerten Roman Meurtres pour mémoire, dessen Rahmen die Ereignisse bilden. Das Thema seines Gesamtwerkes spiegelt sich auch in diesem Buch wieder: Neben einem individuellen, krimitypischem Verbrechen gibt es immer auch das Verbrechen des Staates und der Gesellschaft. Kriminelle Staatsräson wird aufgedeckt und angeprangert. 2005 fand das Massaker zuletzt einen Platz in dem Film Caché von Michael Haneke.
Links
TAZ-Artikel vom 17.10.2001
Wikipedia-Eintrag
Artikel lüber die « Piste belge »: Die Suche nach Zeitdokumenten
Meurtres pour mémoire bei Polarnoir
Edit: Titel und den Haushaltsminister