Das Office québécois de la langue française hat diese Woche eine Studie veröffentlicht, nach der in 20 Jahren in der wichtigsten Stadt der Provinz Québec weniger als die Hälfte aller Einwohner französisch sprechen werden, nämlich nur noch 47%, und damit wieder eine Jahrhunderte alte Diskussion um die Identität der Frankokanadier ausgelöst, die sich bis heute von den USA und den anglophonen Kanadiern bedroht fühlen.
Rückblick: 1763 trat Frankreich seine Kolonie an die britische Krone ab und französischstämmige Kanadier waren von dem Zeitpunkt an politisch und kulturell von Frankreich abgeschnitten. Bemühungen der Briten, den anglophonen und protestantischen Teil der Bevölkerung durch gezielte Einwanderungen zu erhöhren, zeigten Erfolge, heute ist Kanada größtenteils englischsprachig. Auch wenn Frankokandier im Schnitt zehn Kinder bekamen… Die Québécois bewahrten jedoch eisern Spache, Kultur und vor allem Religion. Erst in den 1960ern öffnete sich ihre Gemeinde der kulturellen Moderne; der Einfluss der katholischen Kirche, die als Rettungsanker und Symbol für den Widerstand gegen Angloamerika galt, verringerte sich.
Doch der Sprachenstreit bleibt, das kanadische Französisch trägt die Spuren von Jahrhunderten der Trennung und wird immer mehr als Dialekt wahrgenommen. Diesen Montag warnte der Politiker Gerald Larose als Reaktion auf die Studie des Office québécois de la langue française vor einer « Winnipegization » in der Hauptstadt der Provinz, in Erinnerung an die Assimilation der Frankokanadier in Manitoba.
Die Studie ist wieder Wasser auf die Mühlen der Nationalisten und derer, die ihr frankophones Kanada am Abgrund sehen. Jean-Luc Mongrain, TV-Journalist, veröffentlichte gestern einen Kommentar mit dem Titel « Französisch unterm Beatmungsgerät » im Journal de Montréal. Er sieht die Verantwortung für Sprache und Kultur bei den Kanadiern selber, die seines Erachtens dem Gedanken nachhängen, dass es die Eliten seien, die für die Bewahrung der Kultur verantwortlich sind. Ein Gedanke aus der Zeit der Vormachtsstellung der katholischen Kirche in Québec. Mongrain schreibt:
« Ein ungeheurer Prozentsatz der frankophonen Québécois sind praktische Analphabeten. Man verlässt die Schule ohne schreiben und lesen zu können. Was das bestrifft, kann ich die Fachkommissionen, die Gipfel, die Kongresse und die ganze intellektuelle Masturbation, die versucht mit den Durchfall- und Abbrecherquoten in der Schule fertig zu werden, nicht mehr ertragen. Unseren mangelhaften Kenntnissen unserer Sprache ist es zu verdanken, dass sie allzu oft wie ein Dialekt erscheint. » Er fordert zudem dazu auf, sich nicht mehr in Nostalgie zu vergraben, sondern jetzt selber etwas zu tun - oder 20 Jahre zu warten und die Studie des Office québécois de la langue française zu bestätigen.
Interessant ist bei dieser Diskussion immer die anglophone Sicht, die oft nur Spott für die Angst der Frankokanadier übrig hat. Das Office québécois de la langue française wird in Kommentaren gerne als « Wachhund » bezeichnet. Ein Kommentar trägt den Titel « Französisch vor dem Aus - schon wieder ». Graeme Hamilton von der National Post kommentiert: « Leute wie Herr Larose (s.o.) scheinen in einer vergangenen Zeit steckengeblieben zu sein, als der Feind noch der hochnäsige Anglophone war, der sich weigerte Französisch zu lernen. » Außerdem sieht er die Studie unter einem anderen Gesichtspunkt: « Was der Bericht eigentlich herausgefunden hat, ist, dass Québec exakt dem Kurs folgt, den man erwarten kann, wenn ein alteingesessenes Volk aufhört, Kinder zu bekommen und Immigranten gebraucht werden, um den Geburtenrückgang zu kompensieren. Was einst ein Zweimannspiel Französisch-Englisch war, hat sich unter dem Einfluss von Allophonen verändert, deren Mutersprache keiner der offiziellen Sprachen ist. »
Also alles halb so wild und nur eine natürliche Entwicklung in einer globalisierten Welt? Die Parti Quebecois hat diesen Aspekt erkannt und will zukünftig weniger Einwanderer nach Québec lassen. Yves-François Blanchet, Provinzpolitiker, will, dass Immigranten in französischsprachige Gebiete auch Französisch als ihre erste Sprache ansehen und auch zu Hause sprechen. Er sieht aber ein, dass man niemandem vorschreiben kann, welche Sprache sie zu Hause sprechen sollen, und als Konsequenz eben die Einwandererrate senken…
Seit 35 Jahren kämpft die Parti Quebecois verbissen gegen den Einfluss des Englischen in den französischsprachigen Gebieten und ihnen kommt die neue Studie geradezu gelegen, befindet die englischsprachige Zeitung The Gazette aus Montréal:
« Wann immer es zu ruhig ist, kann man normalerweise auf den übereifrigen Bürokraten oder auf den selbstsüchtigen Politiker zählen, der hinterm Hügel hervorkriecht und mit dem Kopf voran eine Attacke gegen den Feind fährt, der sich schon vor Jahrzehnten ergeben hat. Letzte Woche hatten wir beide, den Bürokraten und den Politiker, weil wenn es Wahnsinn nieselt, regnet es Absurdität. »
Links zum Thema Sprachenstreit und erneute Identitätskrise
Homepage des Office québécois de la langue française
Mongrain-Kommantar: Le français sous respirateur. 15.09.
Hamilton-Kommentar: French on the brink, yet again. 13.09.
The Gazette: Here we go again, hostie. 04.09.